Thronebreaker: The Witcher Tales

Seit geraumer Zeit schon verzaubert das Witcher-Universum Spieler auf der ganzen Welt. Es gibt Romane, Games, Comics, zukünftig sogar eine Netflix-Serie, und in all diesen Ablegern bildet Geralt die zentrale Figur. Doch der Kontinent hat abseits des Hexers und seiner engsten Freunde noch sehr viel mehr zu bieten. Und genau hier setzt Thronebreaker: The Witcher Tales an. Das neue Rollenspiel des Entwicklerstudios CD Project RED schafft es nicht nur, das Witcher-Universum um eine weitere großartige Geschichte zu erweitern, sondern zeigt auch, dass ein simples Kartenspiel das Herz eines Blockbusters besitzen kann.

  

Das Jahr 1276: Krieg liegt in der Luft, denn das Kaiserreich Nilfgaard steht vor den Toren der Nördlichen Königreiche. Die Könige und Souveräne treffen sich daraufhin in Hagge, um Pläne und Allianzen gegen den Feind zu schmieden. Unter ihnen auch Königin Meve, die Herrscherin von Lyrien und Rivien. Als sie von der Versammlung in ihre Heimat zurückkehrt, muss sie jedoch feststellen, dass sie verraten wurde. Prinz Villem, ihr eigener Sohn, der in ihrer Abwesenheit zusammen mit dem Rat die Regierungsaufgaben übernommen hat, paktiert mit Nilfgaard, stößt seine Mutter vom Thron und sperrt sie weg. Doch Meve gelingt die Flucht. Zusammen mit General Reynard Odo, dem Banditenkönig Gascon und einer kleinen Armee treu ergebener Soldaten sinnt die betrogene Königin von Lyrien und Rivien auf Rache.

Gwint – ein kurzer historischer Abriss

„Gwint“, „Gwent“, „Schlagwetter“ – alles Begriffe für ein und dasselbe Kartenspiel. Seinen Geburtsmoment feierte es 1996 im dritten Roman der Geralt-Saga (Feuertaufe) von Andrzej Sapkowski, als sich eine Gruppe von Zwergen mit „Schlagwetter“ (poln. Gwint) am Lagerfeuer die Zeit vertreibt (S. 109, wer’s genau wissen will). 2015 adaptierte der Entwickler CD Project RED das Kartenspiel als Minigame für The Witcher 3: Wild Hunt und machte später daraus ein Free-to-Play-Kartenspiel (GWENT: The Witcher Card Game), das nach Durchlaufen der Closed- und Open-Betaphase am 23. Oktober 2018 mit dem Homecoming-Update seinen offiziellen Release-Termin feierte. Thronebreaker stellt die Solo-Kampagne zu eben jenem Online-Spiel dar und kam zeitgleich mit dem Homecoming-Update auf den Markt. Anfänglich nur als zehnstündiges Spin-Off gedacht, hat sich Thronebreaker zu einem eigenständigen Spiel mit groß angelegter Story gemausert, das locker die 35 Stunden-Marke knackt und die Geschichte von Königin Meve im zweiten nilfgaardischen Krieg erzählt. Damit ist Thronebreaker das erste Witcher-Spiel, das zur Zeit der Romanhandlung angesiedelt ist.

Heimat, süße Heimat

Witcher-Jünger dürften sich heimisch fühlen kaum dass das Intro über den Bildschirm flimmert: die dynamischen Standbilder im typischen Witcher-Style, die bedeutungsschwere Erzählerstimme aus dem Off und der Score von Marcin Przybyłowicz, dem Haus- und Hofkomponisten von CD Project RED, versetzen den Spieler zurück in die Nördlichen Königreiche. In Gestalt von Königin Meve bewegen wir uns aus der isometrischen Perspektive durch die Länder in und um Lyrien und Rivien. Insgesamt wollen fünf weitläufige Karten erkundet werden, die durch allerlei kleine Animationen und stimmungsvolles Sounddesign zum Leben erweckt werden. Dabei gilt es Ressourcen für die eigene Armee zu sammeln, die Befindlichkeiten von NPCs zu lösen und etliche Kämpfe gegen Monster, Scoia’tael und die nilfgaardische Armee auszufechten – nicht mit Lanze und Schwert, sondern mit Karten.

Die Karte ist mächtiger als das Schwert

Originaltitel Thronebreaker: The Witcher Tales
Jahr 2018
Plattform Microsoft Windows, Xbox One, PlayStation 4
Genre Rollenspiel
Entwickler CD Projekt RED
Publisher CD Projekt RED
Spieler 1
USK keine Angabe

Wer nicht als gestählte Kampfsau aus der Betaphasen-Hölle von GWENT, sondern ganz jungfräulich von Witcher 3: The Wild Hunt kommt, der wird mit dem Gwent aus Thronebreaker am Anfang seine Probleme haben. Die Spielprinzipien unterscheiden sich und man muss einiges an Zeit aufbringen, um die Fähigkeiten und Synergien der Karten zu verstehen. Nicht selten scheitert dieses Verständnis an blöd formulierten Beschreibungstexten. Da das Tutorial in dieser Hinsicht etwas zu kurz kommt, hilft nur noch die Trial-and-Error-Methode um zu sehen, was wie wann funktioniert, aber nach eine gewissen Zeit hat man den Dreh raus. Neben den Standardkämpfen gibt es noch die sogenannten „Rätselkämpfe“, bei denen man mit einem vorgegebene Kartendeck und unter Sonderregeln bestimmte Ziele erreichen muss. Diese Partien fallen mitunter herrlich kreativ aus. Wer schon immer mal einen Zwerg unter den Tisch saufen oder eine wild gewordene Kannibalen-Kuh zur Raison bringen wollte – mit Karten versteh sich – der hat in Thronebreaker nun die Chance dazu.

Die Hölle für Entscheidungsunwillige

Auch wenn die Storyeinführung zu Beginn etwas zäh ausfällt, ausgelöst durch das Ressourcensammeln und die Probleme beim Gwent-Verständnis, lohnt es sich trotzdem allemal, am Ball zum bleiben, denn spätestens nach dem Showdown im ersten Gebiet wird die Story derart spannend, dass man vom Bildschirm nicht mehr wegkommt. Thronebreaker entwickelt sich zu einem Spiel mit zündender Atmosphäre und mitreißender Geschichte, denn es gibt allerlei Intrigen, Wendungen, spannende Charaktere und natürlich Dilemmata. Es gehört zum Tonus eines guten RPGs, dass es moralisch an die Nieren geht, und auch Thronebreaker hält sich daran. Jede Entscheidung die man trifft ist tiefgreifend und fällt früher oder später auf einen zurück. Tötet man den letzten lebenden Drachen, um sich mit den Zwergen gut zu stellen? Begnadet man einen Elfen, der ohne Beweise des Diebstahls bezichtigt wird, obwohl man sich es dann mit der eigenen Truppe versaut? Und ganz wichtig: Will man seinen ersten Offizier zum Tanz auffordern oder nicht? Selbst das Spiel kommentiert jede getroffene Wahl mit „Es wurde eines von zwei Übeln gewählt“. Die Suppe muss dann auch ausgelöffelt werden, denn ein Zurückspringen zum Checkpoint gibt’s nicht.

Team Meve

Abhängig von den Entscheidungen ist auch die Zusammenstellung des eigenen Teams. In Thronebreaker gibt es bis zu zehn Hauptcharaktere, die sich Meves Armee anschließen können und dann in Form spezieller Goldkarten Teil des Decks sind. Die Figuren könnten dabei nicht unterschiedlicher sein. Meve – prinzipientreu, entschlossen und geradezu humorlos. Reynard – Rechte Hand von Meve, grau meliert und mit einem Stock im Arsch. Gascon – süffisanter Tunichtgut der vor allem in Kombination mit Reynard seine Momente hat. Eyck von Denesle (die Romanleser werden ihn kennen) – fahrender Ritter und religiöser Fanatiker, der immerzu aus seinem Guten Buch zitiert… nur um einige zu nennen. Alles sympathische Charaktere, die uns auch wieder abhandenkommen können, falls wir eine Entscheidung gegen ihre Überzeugung fällen. Diese Verluste können den Spieler hart treffen, weil dadurch nicht nur starke Karten flöten gehen, sondern auch wichtige Träger der Atmosphäre.

Gütesiegel-A-Hörspiel mit Bildern

Besagte Atmosphäre hat das Spiel auch besonders seiner akustischen Präsentation zu verdanken, denn was das betrifft ist Thronebreaker der ganz große Käse. Die Erzählpassagen setzen sich aus stimmungsvollen Bilder, hervorragenden Sprechern und verschwenderischen Audio-Effekten zusammen, die Thronebreaker zum einem fesselnden Visual Novel machen. Geschichte und Figuren können einem auf diese Weise ans Herz wachsen. Dazu die Musik von Marcin Przybyłowicz, der mit Leitmotivik arbeitet und einige tragisch-schöne Themen geschaffen hat, die sogar der sonst so generischen Combat-Musik ihre ganz eigene Note verleihen.

Fazit

Wer hätte gedacht, dass ein olles Kartenspiel-Game so eine verdammt dichte Geschichte erzählen kann. Während des Epilogs saß ich aufgelöst vor dem PC und lauschte dem Erzähler, der mir das Schicksal von Team Meve offenbarte (laut Entwickler soll es 30 mögliche Enden geben). Was könnte ich kritisieren? Das Balancing. Manche Rätselkämpfe sind frustrierende Kopfnüsse, während die Standardkämpfe nicht selten unterfordern. Auf mittlerem Härtegrad reicht es meistens, einfach seine besten Karten rauszuhauen. Nur zwei Mal musste ich einen alten Checkpoint laden und mein Deck komplett umstellen. Deswegen ist Thronebreaker nur bedingt etwas für die Superstrategen unter uns. In Kombination mit der starken Geschichte, den vertrackten Entscheidungen und der akustischen Gestaltung macht Thronebreaker wiederum eine astreine Figur. Und was ist mit Geralt? Der hat sogar einen kleinen Gastauftritt und wir erfahren, wie er zu seinem Titel „… von Riva“ kam. Dass sein Konterfei aber so präsent auf dem Cover prangt, ist irreführend, denn der Gastauftritt ist kaum der Rede wert. Aber naja, Geralt muss halt als Zugpferd herhalten, huh? Unnötigerweise – denn Königin Meve wuppt und trägt die Geschichte ganz von alleine.

©CD Project RED

 

Totman Gehend

Totman ist Musiker, zockt in der Freizeit bevorzugt Indie-Games, Taktik-Shooter oder ganz was anderes und sammelt schöne Bücher. Größtes Laster: Red Bull. Lieblingsplatz im Netz: der 24/7 Music-Stream von Cryo Chamber auf YouTube.

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