Ajin – Demi-Human

Einmal unsterblich sein, huh? Denn wer unsterblich ist, der wird sicher verehrt; der wird mit Geschenken überhäuft und im Idealfall mit Gott gleichgesetzt bzw. wenn’s für Gott nicht reicht, dann doch zumindest für einen direkten Nachkommen. Im Kosmos von Gamon Sakurais Ajin – Demi-Human hingegen ist man als Unsterblicher schlicht angeschmiert. Von der Regierung zu »Vogelfreien« erklärt, müssen sie ein Leben in Anonymität führen, da man sie ansonsten zum Wohle der Wissenschaft ohne absehbares Ende foltern würde. Doch manche Unsterbliche wollen sich das nicht gefallen lassen und machen gegen die Regierung mobil. Und jetzt die Frage aller Fragen: Wie gewinnt man als popeliger Mensch einen Krieg gegen Unsterbliche? Im Dezember 2021 endete die Reihe hierzulande bei Egmont Manga.

   

Kei Nagai ist ein normaler Oberstufenschüler. Er ist strebsam, will Arzt werden und pflegt oberflächliche Freundschaften. Sein normales Leben endet, als er von einem Laster überfahren wird und den Vorfall wie durch ein Wunder überlebt. Sein matschiger Körperklumpen regeneriert sich und Kei erwacht zum neuen Leben, so, als wäre nie etwas passiert. Doch freuen kann er sich nicht darüber, denn das heißt, dass Kei ein »Ajin« ist – ein unsterblicher Mensch. Und Ajin werden von der Regierung erbarmungslos gejagt. Kei ist also fortan auf der Flucht. Hilfe erfährt er dabei von seinem Schulkameraden Kaito sowie von einem humanoiden Mumien-Wesen, das seit Keis (erstem) Tod ständig in dessen Nähe herum lungert. Zeitgleich sorgt ein weiterer Ajin für medialen Aufruhr: Satou, ein Mann mit Schiebermütze, will für die Rechte der Ajin kämpfen und schreckt für dieses hehre Ziel auch nicht vor Terror zurück. Kei, der aufgrund Satous Blutrünstigkeit um seine eigene Zukunft fürchtet, sieht sich gezwungen, Satou die Stirn zu bieten.

Der Autor sagt »Tschö!«

Originaltitel Ajin
Jahr 2012–2021
Bände 17
Genre Action, Mystery, Supernatural
Mangaka Gamon Sakurai, Tsuina Miura (Band 1)
Verlag Egmont Manga (2015–2021)
Seit 17. Dezember 2021 vollständig

Als der erste Band von Ajin im Jahre 2015 bei Egmont Manga erscheint, kann man die Reise, die die Serie machen wird, noch nicht absehen. Blättert man sich durch die ersten Kapitel, dann fühlt sich die Geschichte zunächst wie ein waschechter Shounen-Manga nach altbekannter Formel an. Ein Oberschüler entdeckt seine übermenschliche Natur, kriegt eine Art Mumien-Pokémon an seine Seite gestellt (welches vom Wesen her so kompliziert ist wie Ashs Glurak) und macht sich auf, gemeinsam mit seinem blondierten Best Buddie gegen die böse Regierung zu kämpfen. Alles schreit danach, dass der ungewollte Heros mit seinem Pokémon für den gerechten Strike Back sorgen wird – so weit, so gut. Bis hierhin war noch Original-Autor Tsuina Miura mit im Boot. Der aber verließ Ajin recht schnell wieder für ein anderes Manga-Projekt: High-Rise Invasion, eine Action-Eskapade, in der mordende Maskenträger Jagd auf Höschenblitzer machen. Interessanterweise wäre der Ajin-Zeichner Gamon Sakurai als der eigentliche Hentai-Mangaka (Künstlername g-10) viel eher für ein Projekt dieser Art prädestiniert gewesen. Aber Gamon Sakurai weigerte sich das sinkende Ajin-Schiff zu verlassen. Stattdessen übernahm er als Zeichner zusätzlich den Autorenjob, veränderte ganz allmählich den Art-Style und machte aus der Ajin-Schaluppe einen todernsten 5-Master, der einen völlig anderen Kurs setzte.

Bloody Knight vs. Egoist – wer ist dir lieber?

Aus Shounen (= Mangas für Jungen) wird Seinen (= Mangas für Männer). Das zeigt sich organisatorisch in der einheitlichen Panel-Aufteilung, künstlerisch in der realistischen Darstellung, thematisch im dunklen Tonus sowie cast-technisch in der Überzahl an Erwachsener. Spätestens mit Auftritt des Antagonisten Satou, diesem ü50-Typen mit Hosenträgern und Schiebermütze, hat Ajin seine wahres Wesen gefunden. Satou ist nur auf dem ersten Blick ein gerechter Anführer der Résistance. Er gibt sich leutselig und freundlich, hat immer einen A-Team-Spruch auf den Lippen und ist passionierter Zocker, der seine Unsterblichkeit gerne mit Arcade-Games vergleicht. Satou entwickelt sich schnell zum ambivalenten Bloody Knight und was ihn antreibt, ist zunächst unklar. Ajin ist gut darin, uns empathische Wesen vorzutäuschen, so auch beim Protagonisten Kei. Kei scheint zunächst sympathisch, will Arzt werden, um seine Schwester zu retten, und weigert sich, über Leichen zu gehen. Doch mit der Zeit wird aus dem gutherzigen Shounen-Heros ein unterkühlter Rationalist, der sich nur auf das Katz-und-Maus-Spiel mit Satou einlässt, da er in erster Linie sich selbst helfen will. Kei könnte fast als Bösewicht durchgehen, gäbe es bei ihm nicht einige Schlüsselmomente von Moral und Anstand. Nützlich hierbei ist, dass Satou und sein Team mitunter so dermaßen blutrünstig und sadistisch sind, dass daneben Kei nahezu wie ein Ritter in glänzender Rüstung scheint.

Der Erzählstil eines Zeichners

Die Story von Ajin wird recht konservativ erzählt. Gamon Sakurai erklärt gerne. Das ergibt im wissenschaftlichen Kontext, wenn es darum geht die Existenzregeln der Ajin und IBMs (besagte Mumien-Wesen) zu erläutern, durchaus Sinn und ist höchst interessant zu lesen. Allerdings werden auch Handlungen und Gedankengänge häufig geradezu pedantisch auseinander genommen, was nicht immer elegant wirkt und zu narrativem Stau führt. Stau entsteht auch dann, wenn der Einzelgänger Kei wieder einmal das Handtuch werfen will oder unser Hasardeur Satou wieder einmal aus purer Langeweile von einem Vorhaben ablässt. Solche »Twists« wirken dadurch wiederverwertet und leicht ausgelutscht. Freilich könnte das der Tatsache geschuldet sein, dass Ajin eben auch Gamon Sakurais erster (unfreiwilliger) Autorenjob ist – mit eleganten Vorhausahnungen oder einem smoothen Set-Up hat er’s nicht immer so. Vielmehr baut Sakurai seine Story Stein für Stein auf; er entwickelt sie also live und ‘im Moment’. Klingt zunächst einmal ‘mäßig’, doch bei Ajin funktioniert das recht gut, denn glücklicherweise kann Sakurai das alles mit seinem Talent am Zeichentisch wieder wettmachen.

Ein gelebter Call of Duty-Traum

Wenden wir uns also dem Elefanten im Raum zu: den Zeichnungen, denn am Zeichentisch ist Sakurai ein Monster ohnegleichen. Auf der einen Seite hätten wir da den unfassbaren Detailgrad der Waffen und Rüstungen, die Dynamik in den Perspektiven und Kampfszenen, den hohen Grad an Realismus, die uniquen Designs der Mumien-Geister und die großformatigen Bildkompositionen, bei denen einem die Spucke wegbleibt, einfach weil sie so gut aussehen (Stichwort »Flugzeug-Panel« in Band 4). Auf der anderen Seite kann Sakurai nicht nur »laut«, sondern auch »leise« und setzt intime Momente nicht weniger herausragend in Szene, etwa Shimomuras tragische Vergangenheit (Band 6). Die Optik ist klar die größte Stärke von Ajin. Auf seinem Twitter-Kanal konnte die geneigte Community regelmäßig in Sakurais Arbeiten hinein lünkern und nebenbei auch Zeuge seiner Gaming-Passion werden. Es verging kein Tag, an dem Sakurai nicht wenigstens ein Video seiner neusten Call of Duty-Sessions hochlud. Und der Einfluss dieser Gaming-Passion ist in Ajin nicht zu übersehen. Ab Band 10 fühlt sich die Serie mit ihren Kapiteltiteln wie »Killtacular« (aus Halo), »Doom« und »Splinter Cell« wie eine einzige Shooter-Fantasie an. Den Kick, der das Geballer vor eventueller Eintönigkeit bewahrt, kriegen die Lesenden durch die besonderen Fähigkeiten der Ajin, die das ansonsten »öde Map-Geballer« höchst spannend machen. Die Regeln ihrer Regeneration sowie die taktischen Einsatzmöglichkeiten der schwarzen Mumien-Geister ermöglichen es Sakurai, freie und kreative Kämpfe mit einigen beeindruckenden Ideen zu kreieren. Mehr als einmal wird man wohl in ungläubiges Lächeln darüber verfallen, wie Sakurai seine Figuren in Gebäude hinein und wieder heraus schmuggelt. Unerreicht ist und bleibt Satous »Chicken Wing«-Szene … huiuiui.

Fazit

Wer Ajin – Demi-Human beginnt, der sollte wissen, dass der erste Band nicht stellvertretend für die gesamte Reihe steht und aus dem anfänglichen Shounen bald schon ein Seinen wird. In Anbetracht des anfänglichen Autoren-Problems, hat Zeichner Gamon Sakurai wirklich das Beste aus einer schlechten Situation herausgeholt und mit seiner Version von Ajin eine aufregende und absolut bildkräftige Reise zu Papier gebracht – auch wenn ich mit manchen finalen Erklärungen nicht zufrieden bin, aber nun ja, »draufgeschissen, Bob«, gell? Ajin ist ein Action-Titel mit erwachsenem Cast und dunklem Tonus – ein spannungsgeladenes Duell zweier Unsterblicher, das mit seinen Vibes auch etwas für Death Note-Fans sein dürfte, vor allem aber für Freunde von Action-Thrillern mit Bildern, bei denen einem, wie gesagt, gerne mal die Spucke wegbleibt.

Zweite Meinung:

Eine extreme Spannungskurve aufrechtzuerhalten, ist bei einer Reihe mit 17 Bänden kaum möglich. Doch Gamon Sakurai schaffte das mit Ajin, obwohl er nach fünf Kapiteln ohne Autor dastand. Alleine dafür gebührt ihm schon ein Ehrensalut. Nicht nur flochte er die Geschichte logisch weiter, er baute die Figuren auch glaubwürdig aus, sodass das Katz-und Mausspiel einen nicht mehr losließ. Eine abgedrehte actionreiche Wendung jagt die nächste, nur überzeugen gegen Ende nicht mehr alle davon. Mit Schlaufuchs Kei Nagai folgen wir keinem standardisierten Hauptcharakter. Der Gute ist nämlich ein sehr rationaler Mensch, doch gerade deswegen funktioniert für mich das Duell gegen den spaßsüchtigen Sato. Dabei entwickelte Sakurai einen immer anziehenderen, cineastischeren Zeichenstil. Nicht zu vergessen die unterschiedlichen Formen der IBMs und deren Symbolik. Ajin ist am Ende nicht perfekt, jedoch ein Muss für alle, die einen Actionthriller in Manga-Form suchen.

© Egmont Manga


Im Handel erhältlich:

Totman Gehend

Totman ist Musiker, zockt in der Freizeit bevorzugt Indie-Games, Taktik-Shooter oder ganz was anderes und sammelt schöne Bücher. Größtes Laster: Red Bull. Lieblingsplatz im Netz: der 24/7 Music-Stream von Cryo Chamber auf YouTube.

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Alva Sangai
Redakteur
3. Januar 2022 23:20

Ajin war vor paar Jahren einer meiner Wunschtitel, den ich mir oft bei den Verlagen gewünscht habe. Da war ich total happy als Egmont den ankündigte. Ich denke das es der Serie gut getan hat, dass sie zum Seinen mutierte. Mir fehlen noch die restlichen drei Bände, die ich noch nachkaufen muss, aber ich bin froh, dass ich noch eine weitere Reihe dieses Jahr abschließen kann. 😀 17 Bände sind eine gute Zahl.

Last edited 2 Jahre her by Alva Sangai
Aki
Aki
Redakteur
Antwort an  Alva Sangai
10. Januar 2022 18:51

Sei froh, dass du die letzten Bände so am Stück lesen kannst!
Ich möchte die Bände auf jeden Fall einmal hintereinander weg lesen, denn manche Wartezeit macht es nicht einfach. Wobei ich über die Jahre viel im Kopf behalten habe, was für die Reihe spricht. Schade nur, dass der Anime zwar nicht wirklich mies ist aber er weicht mir irgendwann zu sehr von der Vorlage ab und an die genialen Zeichnungen kommt er leider nicht heran.-_-