Attack on Titan
Es war das Jahr 2013, als plötzlich ein ganz neues Phänomen die Anime- und Manga-Community begeisterte. Die Rede ist von Attack on Titan, dem düsteren Action-Fantasy-Werk, das den verzweifelten Kampf der Menschheit gegen übermächtige Menschenfresser zeigt. Durch die große Beliebtheit der Anime-Serie richtete sich die Aufmerksamkeit auch schnell auf das Originalwerk, das auf einmal für viele Fans zu einem Must-Have wurde. Zum Glück veröffentlichte das deutsche Manga-Label Carlsen Manga Attack on Titan von Hajime Isayama bereits ab April 2014 auf Deutsch. Nachdem die Reihe in Japan zwischen 2009 und 2021 in 34 Bänden veröffentlicht wurde, kommen auch deutsche Leser:innen seit März 2022 in den Genuss des Abschlussbandes. Zeit für ein Resümee: Wird die Manga-Reihe ihrem Hype gerecht?
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Die Menschheit wurde von riesigen menschenfressenden Monstern, den sogenannten „Titanen“, nahezu vollständig ausgelöscht. Die verbliebenen Menschen haben sich in Städten innerhalb von drei Mauern verschanzt, die sie vor der Bedrohung schützen. Doch eines Tages endet dieser Scheinfriede: Die äußerste Mauer wird von einem gigantischen Titanen niedergerissen und die Menschen innerhalb des Distrikts von den einfallenden Titanen dezimiert. Der kleine Eren Jäger muss dabei mitansehen, wie seine geliebte Mutter von einem Titanen gefressen wird. Er selbst kann mit seinen beiden besten Freunden Mikasa Ackermann und Armin Arlert fliehen, doch er schwört Rache. Er setzt sich zum Ziel, die Titanen auszurotten und der Menschheit wieder ein Leben außerhalb der Mauern zu ermöglichen. Zu diesem Zweck treten er und seine beiden Freunde dem Militär bei, um nach einer dreijährigen Ausbildung dem Aufklärungstrupp beizutreten. Diese Einheit wagt sich nämlich vor die Mauern und stellt sich direkt dem Kampf gegen die Titanen …
Drei Kinder im Fokus eines grausamen Kampfes
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Originaltitel | Shingeki no Kyojin |
Jahr | 2009–2021 |
Bände | 34 |
Genre | Action, Fantasy, Horror |
Mangaka | Hajime Isayama |
Verlag | Carlsen Manga (2014–2022) |
Seit März 2022 vollständig |
Im Mittelpunkt der Reihe steht Eren Jäger, der nach dem tragischen Tod seiner Mutter und der Zerstörung seines Heimatortes nur ein Ziel hat: alle Titanen töten. Das klingt zunächst nicht besonders revolutionär, denn Rachegeschichten gibt es wie Sand am Meer. Doch nach und nach zeigt sich, dass Attack on Titan von einem typischen Action-Manga nicht weiter entfernt sein könnte. Zudem wird Eren von Anfang an auch vom Wunsch nach Freiheit für die Menschheit angetrieben, damit sie nicht mehr in Mauern eingepfercht leben müssen. Es geht ihm also eben nicht nur um blinde Rache, auch wenn das zeitweise so wirken mag. Dabei gelingt es, die Geschichte vom ersten Kapitel an spannend zu gestalten. Gerade die drei Hauptfiguren, neben Eren noch seine Kindheitsfreunde Mikasa Ackermann und Armin Arlert, wachsen einem ungemein schnell ans Herz. Dabei erleben sie und ihre Kameraden Schreckliches, denn die Manga-Reihe ist alles andere als zimperlich. So wurden Mikasas Eltern von Menschenhändlern getötet und nur Eren konnte sie damals retten. Seitdem lebte sie bei seiner Familie bis eben der Fall der äußersten Mauer diese kurze Idylle zerstörte. Die weiteren Charaktere sind ebenfalls spannend, eine Vielfalt ist gegeben. Da wäre die verfressene Sasha, die hartgesottene Annie oder der etwas ängstliche Connie. Doch an einigen Stellen sterben die Figuren tatsächlich wie die Fliegen und selbst Charaktere, die vermeintlich sicher scheinen, können plötzlich über den Jordan gehen. Gerade bei neu eingeführten Charakteren empfiehlt es sich, erst einmal keine zu große Bindung zu ihnen aufzubauen. Genau das passt aber nicht nur zur düsteren Handlung, sondern macht die Reihe auch deutlich spannender als vergleichbare Action-Titel. Schließlich ist der Nervenkitzel sofort größer, wenn eben nicht klar ist, dass der eigene Lieblingscharakter doch sowieso überlebt.
Wer oder was sind die Titanen?
Einen gewissen Mystery-Aspekt besitzt Attack on Titan in jedem Falle, das fängt schon beim Setting an. Denn wer oder was sind die Titanen? Wie konnte die Menschheit jemals diese Mauern erbauen, um so zumindest noch zu einem kleinen Teil zu überleben? Das sind nur wenige der vielen spannende Fragen, die im Laufe der Geschichte aufkommen. Diese ist auch die große Stärke, schließlich ist sie mehrschichtig und in einem angenehmen Tempo erzählt. Dieses ist mal zackig und mal ruhig, je nachdem, wie es für die Handlung aktuell angebracht ist. Neben actionreichen Szenen geht es im späteren Verlauf auch mal um Politik, wodurch die Reihe zeitweise gar Züge eines politischen Thriller annimmt. Das zeigt, dass die Geschichte eben viel mehr als nur pure Action ist. Die Charaktere sind zwar tatsächlich allesamt gut ausgearbeitet und machen auch eine überzeugende Entwicklung durch, aber gerade hier offenbart sich doch eine größere Schwäche der Reihe. Es kommt nämlich mehrmals vor, dass einige Figuren nach einem Arc, in dem sie eine etwas größere Rolle spielen, derart an den Rand gedrängt werden, als wisse der Mangaka nicht, was er mit der Figur weiter anstellten soll.
Das erweckt den Eindruck, als wären die Figuren weniger als mehrdimensionale Persönlichkeiten angelegt, sondern nur für einen bestimmten Zweck in der Handlung. Immerhin wirkt die Irrelevanz dieser Figuren selten so, als sei sie im Kontext der Geschehnisse vollkommen aus der Luft gegriffen, aber ein bitterer Beigeschmack bleibt.
Intelligente Wendungen in einer komplexen Geschichte
Ihr gesamtes Potenzial entfaltet die Reihe erst nach und nach, weil sie zahlreiche überraschende und schockierende Wendungen bereithält. Eine besondere Stärke ist in jedem Falle Isayamas Art, sehr viel Foreshadowing zu betreiben. Das fällt besonders auf, wenn die Reihe nach dem Abschlussband erneut gelesen wird: Die gesamte Geschichte wirkt sehr schlüssig und so, als habe Isayama hierfür schon früh ein deutliches Konzept vor Augen gehabt. Selbst Momente und Figuren, die total unscheinbar scheinen, können 20 Bände später wieder relevant werden. Am Ende ist nichts so, wie es zunächst scheint und als Leser:in muss man die Bände wirklich konzentriert lesen, um nicht den Überblick zu verlieren. Gerade in der zweiten Hälfte wird die Reihe nämlich zunehmend komplexer. Diese Komplexität zeigt sich auch darin, dass der Mangaka eine Geschichte fernab des typischen Schwarz/weiß- oder Gut/böse-Schemas erzählt. Stattdessen wird verlangt, Ereignisse und Figuren aus einer mehrdimensionalen Perspektive zu bewerten. In jedem Falle schafft es die Reihe dadurch, im Gedächtnis zu bleiben und absolut zum Nachdenken anzuregen. Das Streben nach Freiheit, der unerbittliche Kampf gegen übermächtige Feinde und der Kreislauf von Hass sind sich durch die Reihe ziehende Themen, die universell sind.
Das Ende der Reihe gilt hingegen als ausgesprochen kontrovers, aber egal, wie man dieses letztlich bewertet: Fest steht, dass sich der Mangaka dabei treu geblieben ist. Immerhin kann wohl niemand sagen, er habe das Finale der Geschichte schon früh vorhergesehen.
Nicht nur eine Manga-Reihe, sondern ein ganzes Franchise
Attack on Titan ist seit dem Start der ersten Staffel der Anime-Adaption sehr beliebt, zuvor war die Manga-Reihe außerhalb Japans eher unbekannt. Da der Zeichenstil von vielen als „hässlich“ kritisiert wird, ist wohl sogar fragwürdig, ob wir das Werk in Deutschland ohne den Hype durch die Anime-Serie jemals hier zu Gesicht bekommen hätten. Tatsächlich wäre es übertrieben, die Zeichnungen als „hässlich“ zu bezeichnen, denn das sind sie nicht. Es stimmt zwar, dass das Artwork nicht gerade einen Schönheitswettbewerb gewinnt und teilweise auch mal skizzenhaft wirkt, aber das passt zum Ton der Geschichte. Isayamas Zeichenstil ist eher hart und kantig, was zwar passend ist, es teilweise aber sogar schwer macht, männliche und weibliche Figuren voneinander zu unterscheiden. Auch Action-Szenen können eher an ein grandioses Chaos erinnern, das sich dann auch noch über mehrere Seiten erstreckt und bei dem es schwierig ist, wirklich zu entziffern, was gerade passiert. Vor allem bei Action-Szenen mit Titanen ist das durchaus mal ein Problem. Die gezeigten Bilder werden im späteren Verlauf zunehmend grausamer und verstörender und das nicht mehr (nur) auf der Ebene, dass nun einmal menschenfressende Kreaturen ein Teil der Handlung sind. Wer besonders zartbesaitet ist, könnte deswegen ein Problem mit der blutigen, expliziten Gewaltdarstellung haben, aber diese erfüllt nie einen Selbstzweck. Stattdessen ist sie nötig, um den Ernst des Gezeigten deutlich zu machen. Neben der Hauptreihe sind mehrere Spin-offs wie etwa No Regrets und Before the Fall sowie zahlreiches Begleitmaterial wie Guidebooks erschienen. Damit ist Attack on Titan ein allumfassendes Franchise, das für Fans eine Menge bereithält.
Fazit
Wird Attack on Titan seinem nun Hype gerecht? Größtenteils ja, da die Handlung eben nicht nur sehr spannend ist, sondern vor allem sehr durchdacht wirkt. Das ist bei einer Länge von 34 Bänden alles andere als selbstverständlich, aber tatsächlich bietet die Reihe nicht nur viele gut gemachte Wendungen, sondern schafft es auch, diese nicht zu einem Selbstzweck verkommen zu lassen. Die Figuren machen eine spannende Entwicklung durch und auch, wenn es einige Aspekte gibt, die eher nicht so gelungen sind, wirken diese sehr greifbar und man fühlt inmitten dieser so ernsten Geschichte mit ihnen mit. Tatsächlich eignet sich wohl keine Reihe so gut für einen Reread wie Attack on Titan, weil selbst das erste Kapitel nach Abschluss in einem ganz neuen Licht erscheint. Fest steht aber, dass man die Reihe mit voller Konzentration lesen muss und das bestenfalls am Stück, weil die Komplexität im späteren Verlauf sonst einfach nur verwirrt. Persönlich bin ich nicht mit jeder Entwicklung innerhalb der Reihe glücklich, aber gerade nach dem erneuten, vollständigen Lesen an einem Stück muss ich einfach sagen, dass Isayama eine großartige Reihe geschaffen hat, die mich gerade nach dem Ende absolut zum Nachdenken anregt. Für Fans düsterer Action-Fantasy-Titel ist Attack on Titan damit einfach Pflicht.
Zweite Meinung:
Attack on Titan besitzt eine Menge Zutaten, denen der weltweite Erfolg recht gibt. Angefangen damit, dass sich Mangaka Hajime Isayama von europäischer Geschichte und Kultur inspirieren ließ. Gerade Deutschland hinterlässt hierin einen besonderen Fußabdruck, denn die Parallelen zur deutschen Geschichte sind nicht von der Hand zu weisen. Und so lassen sich nur wenige japanische Charaktere darin vorfinden. Des Weiteren lebt die düstere Serie von Hoffnungslosigkeit und Furcht, denn die Titanen machen den Menschen das Leben zur Hölle. Die Riesen als Feinde der Menschheit kommen dabei als recht innovativ und gruselig daher. Was jedoch wirklich heraussticht, ist das Storytelling des Mangakas. Isayama schafft es in 34 Bänden die Spannung aufrechtzuerhalten und eine wohldurchdachte Geschichte zu präsentieren. Dabei fängt er schon früh mit den Vorausdeutungen an, wodurch es sich lohnt die Reihe nochmal zu lesen. Ab Band 21 besitzt der Manga einen extremen Wendepunkt, denn dann wird nichts mehr so sein, wie es einmal früher war. Letztendlich hat sich Attack on Titan zu einem meiner Alltime-Favoriten gemausert. Zwar empfinde ich nicht jede Entwicklung als großartig und manche Charaktere sind etwas zu kurz gekommen oder vergessen worden, aber dies macht nicht die ganze Serie schlecht. Das Ende ist dagegen schon mehr Geschmackssache, aber ich empfinde es als passend für das Werk. Wer düstere, historische und actionreiche Geschichten mag, sollte einen Blick auf diesen außergewöhnlichen Titel werfen.
© Carlsen Manga