Attack on Titan ‒ Before the Fall
Dank des weltweiten Erfolges der Anime-Umsetzung von Hajime Isayamas Attack on Titan wurde nicht nur dessen Manga-Vorlage hierzulande lizenziert, sondern auch der eine oder andere Zusatztitel. Immerhin war die Welle der Begeisterung kaum zu bremsen — ähnlich wie ein Sturmangriff auf die gewaltigen Feinde der Menschheit. Seit 2015 wird das Prequel Attack on Titan: Before the Fall von Carlsen Manga veröffentlicht. Basierend auf einer dreibändigen Romanreihe erzählt der Manga aus der Feder von Satoshi Shiki (XBlade Cross) eine Geschichte, die 70 Jahre vor Erens Kampf angesiedelt ist. Ein als Titanenkind eingesperrter Junge beginnt einen Kampf für die Freiheit der Menschheit. Dabei stellt er sich vielen Problemen, angefangen bei seiner eigenen Herkunft. Seit dem 30. Juni 2020 liegt die Reihe vollständig in Deutschland vor. Wir werfen mit der rechten Faust auf der Brust einen strengen Blick auf den Titel, um zu überprüfen, ob er sich aus dem gigantischen Schatten des Kassenschlagers befreien kann oder doch nur ein kleiner Mitläufer ist.
Zum Schutz vor den Titanen verschanzt sich die Menschheit hinter gewaltigen Mauern. Doch eine Gruppe, die diese Wesen als Götter verehrt, übernimmt das Außentor von Shiganshina und öffnet es. Das Grauen beginnt. Stampfend, zerstörend und mordend dringt ein Titan in die Stadt ein. Nur dank des Mutes einiger Leute kann das Monster vertrieben werden. Zurück bleibt neben der Verwüstung auch ein gewaltiger Haufen wieder ausgespuckter Menschen. Und genau in diesem finden die Mitglieder des Aufklärungstrupps ein frisch geborenes Baby, das den Namen Kyukuro bekommt und als Titanenkind beschimpft sein Leben fristen muss.
13 Jahre später kauft der wohlhabende Kaufmann Inocencio den Jungen. Sein Sohn Xavi soll den „Titan“ unterwerfen, um sich so für seine Militärlaufbahn zu stärken. Bewaffnet mit einem Messer dringt jedoch seine Tochter Charle in den Keller ein, um das Monster zu töten und somit den Leuten einen Gefallen zu tun. Doch vor ihr sitzt nur ein hungriger, heruntergekommener Junge. Die beiden freunden sich an und planen eine Flucht, nur um dann später feststellen zu müssen, dass die ganze Menschheit in Gefangenschaft lebt. Für Kyukuro beginnt daher ein Kampf für die Freiheit aller.
Ein Prequel für den Einstieg?
Originaltitel | Shingeki no Kyojin: Before the Fall |
Jahr | 2013 ‒ 2019 |
Bände | 17 |
Genre | Fantasy, Action, Mystery |
Autor | Satoshi Shiki (Zeichnung), Ryou Suzukaze (Story) |
Verlag | Carlsen Manga (2015 – 2020) |
Seit dem 30. Juni 2020 vollständig im Handel erhältlich |
Nach einem fulminanten Start, bei dem uns Autor Ryou Suzukaze (Sankarea: All Night Long) in die Welt der Titanen wirft, folgt ein weniger actionreicher Part. Die beiden zentralen sympathischen Figuren rücken erst einmal in den Vordergrund. Dabei lernen wir, dank den heimlichen Treffen von Kyukuro und Charle, wie es außerhalb des dunklen Lochs aussieht, in dem der wissbegierige Junge leben muss. Wer daher noch gar keinen Kontakt mit Attack on Titan hatte, kann demnach bedenkenlos bei Before the Fall zu greifen. Die wichtigsten Eckpunkte liefert die Geschichte, um sich zurechtzufinden und vor allem wartet sie von Anfang an mit einem wissenswerten Thema auf. Sollte nämlich die sonderbare Geburt des Jungen irgendeine Auswirkung haben? Eine berechtigte Frage, die zentral im Raum steht. Geschickt flechtet der Autor diese und einige andere packende Themen zu einer anziehenden Geschichte über Freiheit, Mut und Zusammenhalt zusammen.
Für jeden Kampf die passende Waffe
Nach einer gelungenen, jedoch tributeinfordernden Flucht stellt sich nämlich heraus, dass alle Menschen in einer Art Käfig leben. Sollen die Mauern die Leute schützen, zwingen sie jene aber auch dazu, mit nur begrenzten Ressourcen auskommen zu müssen. Dementsprechend ist der Wunsch nach der Ausrottung der Titanen da. Wer die gewaltigen Wesen allerdings erlebte, der weiß, dass diese wie ein unbesiegbares Bollwerk erscheinen. Selbst Kyukuro muss dies nach einer direkten nervenaufreibenden Konfrontation einsehen. Allerdings verliert er den Mut nicht und erfährt dank einer glücklichen Fügung, dass es eine Möglichkeit zur Bekämpfung gibt. Die sogenannte Ausrüstung befindet sich jedoch noch in der Entwicklungsphase. Doch wo ein Wille ist, ist bekanntlich ja ein Weg, den auch unser Held einschlägt. Erfindergeist und der unbeirrbare Drang nach Veränderung ziehen den Leser in den folgenden Bänden in ihren Bann.
Es sind nicht nur die Titanen im Weg
Wirklich einfach gestaltet sich hier allerdings nichts. Neben technischen Problemen warten auch gewaltige Stolpersteine in Form von Politik in Attack on Titan: Before the Fall auf unseren Strubbelkopf. Schließlich spielt Geld überall eine Rolle. Ränkespiele sorgen daher genauso für Spannung, wie Waffentestläufe hinter der Mauer. Außerdem mischt auch noch Charles Bruder Xavi immer wieder heftig mit. Er versucht nicht nur seine, wie er sagt, entführte Schwester zu retten, sondern auch ein Stück vom Ruhmeskuchen abzubekommen. Als reiner Bösewicht ist der großgewachsene junge Mann aber nicht von Suzukaze konzipiert. Viel eher warten einige Überraschungen auf uns diesbezüglich, was vor allem das Finale unter Beweis stellt, sodass sich diese Figur nicht als eindimensional einstufen lässt.
Ein Herz und eine Seele
Bei all den großen Problemen würde die Handlung nur halb so anregend sein, wenn Kyukuro und Charle nicht solche sympathischen Figuren wären. Er, der im Laufe seine abenteuerlichen Erlebnisse immer mehr dazu lernt, sich zum Kämpfer entwickelt und dabei seiner Herkunft auf den Grund geht. Sie hingegen ist das wohlerzogene, fleißige, wenn auch schüchterne Mädchen. Charle sollten die Leser trotz ihrer vielen Sorgentränen nicht unterschätzen! Sie ist keine dieser Damen, die nur am Wegesrand stehen und zuschauen. Viel eher greift sie oft aktiv sowie mutig in die Geschehnisse ein, was sehr angenehm ist. Daher funktioniert die Chemie zwischen den beiden auch von Anfang an. Herzzerreißend sind vor allem die Trennungen, die die beiden durchleben müssen und die nie spurlos an einem vorbeigehen. Dass da im Laufe der Bände mehr als nur Freundschaft im Spiel ist, ist nicht unerwartet, fügt sich hier anderseits natürlich ins Gesamtbild ein.
Dieser Künstler kennt seine Techniken
Satoshi Shiki setzt die Manga-Umsetzung von Attack on Titan: Before the Fall von Beginn an perfekt in Szene. Das eher grobe Charakter-Design der Romanvorlage von Thores Shibamoto setzte er in ein gefälligeres um, so dass vor allem Kyukuro mit seiner großen Narbe über dem linken Auge auffällt. Ob ruhigere Szenen, imposante Kämpfe oder dialogreichere Seiten — er besitzt ein Gespür für einen geschmeidigen Lesefluss und Panels, die klar strukturiert sind. Besonders wichtige Szenen hebt er gerne einmal hervor, indem sie eine oder zwei Seiten einnehmen dürfen. Oft sorgen groteske, übertriebene Bewegungen der menschlich aussehenden Titanen für ein Gefühl des Terrors, den diese Wesen spürbar verbreiten. Einziges klitzekleines Manko ist, dass Shiki gerne einmal Kyukuros rechte Narbe zu zeichnen vergisst. Haare dürfen hier dafür über Monate hinweg einmal wachsen. Daran denkt auch nicht jeder Zeichner!
Fazit
Wie kamen die Menschen zu den Waffen, um die Titanen wirksam zu bekämpfen? Genau diese Frage stellte ich mir schon während der Lektüre von Attack on Titan. Schließlich fällt Wissen nicht so einfach vom Himmel, weswegen mir Suzukazes Werk gerade recht kam. Before the Fall ist jedoch keiner dieser lieblosen Lückenfüller, die nur dazu dienen, auf der Welle des Erfolges mitzuschwimmen. Mit all seinen Ideen ergibt sich nämlich eine liebevoll ausgearbeitete Geschichte, die vor Mut, Wissensdurst und Unerschrockenheit nur so strotzt. Angefangen mit der Idee mit dem Titanenkind, das dank seiner Lebenserfahrungen ein würdiger Kämpfer für die Freiheit wird, den Erfindern, die er begegnet, die trotz einiger herber Fehlschläge nicht aufgeben, bis hin zu den Soldaten, die an ihren Fähigkeiten feilen müssen. Hier fügt sich alles harmonisch zusammen. Getragen wird die Handlung dann noch durch die liebenswerten Figuren, die Zeit haben, sich zu entwickeln und an ihren Aufgaben zu wachsen. Gerade an Charle und Kyukuro habe ich einen titanischen Narren gefressen. Spannungsgeladen Kämpfe sorgen für den nötigen Nervenkitzel, die Shiki individuell zu Papier brachte. Insgesamt kann ich zeichnerisch nichts groß negativ bewerten. Nur das Ende hätte von mir aus etwas ausführlicher sein können.
© Carlsen Manga