Trau Dich
2014 veröffentlichte der Verlag KAZÉ Manga erstmals Boys Love-Mangas, mit Trau dich von Kai Asou an der Speerspitze. Im März 2021 erschien die zweibändige Kurzreihe nun als Komplettpaket. Eine gute Gelegenheit also, noch einen Blick auf diese kleine Romanze zu werden, die neben einem erwachsenen Familiendrama auch in Sachen Romantik die Füße in einem realistischem Setting beibehält.
Osawa ist fleißiger Koch in einem Restaurant und geschiedener alleinerziehender Vater, nachdem seine Frau ihn, vom Alltag mit der Tochter Chizu überwältigt, verlassen hat. Nun muss er den Alltag mit Chizu im Kindergartenalter und seinen Job unter einem Hut bringen. Er gibt sich alle Mühe und Chizu und er sind eigentlich auch ganz glücklich, doch die Nachbarschaft hält es kaum für richtig: Er solle für Chizu doch wieder eine Mutter finden. Aber mit voll ausgebuchten Tagen hat er gar keine Zeit eine neue Beziehungen in Aussicht zu nehmen und die bereits gescheiterten Ehe hat ihn auch eher emotional ausgelaugt. So geht er seinem Alltag nach, zu dem auch der homosexuelle und nicht unbedingt seinen Partnern sehr treue, langjährige Stammkunde Yoshioka gehört. Der wurde gerade erst frisch abserviert, aber mit seinem sonnigem leichtherzigen Gemüt hegt er auch nach Beziehungsenden wollwollende regelmäßige Kontakte mit seinen ehemaligen Partnern – etwas das Osawa selbst mit seiner Ex-Frau komplett abgeht. Da Yoshioka gerade wieder frei ist und Osawa schon immer sein Typ war, macht er ihm wie schon öfters in der Vergangenheit wieder halb-ernste halb-scherzhafte Avancen. Doch nachdem Chizu krank wird und Yoshioka Osawa ohne zu Zögern unter die Arme greift, wird das zum Anlass, sich etwas besser kennenzulernen …
Man sieht das Ende schon direkt kommen
Originaltitel | Sorenari ni Shinken nandesu. |
Jahr | 2010 |
Bände | 2 |
Genre | Romanze, Boys Love |
Mangaka | Kai Asou |
Verlag | Kazé Manga |
Veröffentlichung: 4. März 2021 |
Die Serie folgt dem typischeren Boys Love-Template: Der eine Protagonist, erklärter Hetero, aber eher ausgebrannt von seiner alten Beziehungen, trifft auf den anderen, der das komplette Gegenteil ist und auch Beziehungsprobleme hat, wenn auch anderer Art. Etwas Dramatisches passiert und Rule-of-BL-World strikes: Natürlich verliebt er sich Windeseile, die andere Hälfte merkt, dass er endlich jemanden gefunden hat, das tiefer geht und es kommt dann auch zu den fürs Genre fast schon obligatorischen Bettszenen. Dass der Zeichenstil mit den recht langen kantigen Gesichtern dabei auch etwas hölzern daherkommen kann und die emotionale Ausdrucksstärke an diversen Stellen mehr auf erklärende Monolog-Erzählungen als visuell ausgefeilte Mimik baut, ist dabei nicht unbedingt hilfreich. Dennoch schillert die Intention visueller Abwechslung durchaus heraus: Es wird versatil mit Panelgröße, -platzierung wie -form, Slapstick und Soundeffekten gearbeitet. Trau dich ist erkennbar noch ein frühes Werk von Kai Asou. Doch auch wenn es an offenkundig noch an der Technik mangelt, um das Versuchte voll zur Geltung zu bringen, lässt sich mit den vielen Gestiken, eingebrachten Gedanken und humorvollen wie ernsten Charakterinteraktionen schon erkennen, dass es nicht nur darum geht, das Template zu enforcieren, sondern auch versucht wird, Figuren mit eigenständigem Charakter und persönlichen Eigenheiten zu zeichnen. So mutet die Rahmenhandlung zwar ers einmal klischeebehaftet an, aber setzt sich bei näherer Betrachtung damit doch etwas ab von der Masse ab.
Trotzdem: Plausible Entwicklung
Vor allem schafft diese Miniserie jedoch eines: Sie hinterlässt ein plausibles Bild, bei dem die zwei als Pärchen und mit Chizu zusammen als Familie gut zusammenpassen und vom Hinterher erkennbar mehr als vom Vorher haben. Osawa und Yoshioka haben beide die Macke, sich nicht gerne verhätscheln zu lassen und mit Problemen nicht direkt herauszurücken, aber beide weisen sich auch einander in die Schranken, wenn es besser für sie ist. Beide sind erwachsen und erfrischend ist auch, dass es sich nicht nur um ein Pärchen in seiner eigenen Welt dreht, sondern auch Verantwortung übernommen werden muss. Denn mit Chizu hat jede Entscheidung auch weitreichende wie unmittelbare Auswirkungen. Das Kind ist dabei von Anfang an ebenfalls als eigenständiger Charakter aufgebaut und hat bis zuletzt ein Wörtchen mitzureden, was das Ganze ebenfalls bereichert. Bedingt durch die Familiensituation ist sie etwas reifer, aber immer noch ein Kind mit eigenen Problemen und Ängsten. Sie ist auch in mancherlei Dingen auf humorvoller Weise aufmerksam und mit ihrer Unbedarftheit hat sie Yoshioka schon weit schneller ins Herz geschlossen, als der Kopf ihres Vaters es für sich selbst eingestehen will. Erfrischend ist auch, dass Osawa nicht nur einfach eine erwachsene Hauptfigur ist, sondern sich auch mit typischeren erwachsenen Problemen herumschlagen muss, sodass etwas simpel Materielles – Yoshioka besitzt eine eigene Wohnung praktisch um die Ecke von Osawas Restaurant-Arbeitsplatz – zwar nicht die entscheidende Rolle spielt, aber durchaus als reizvolle Komponente für die Entscheidung mitschwingt.
Unerwartet bodenständige Erzählung
Das mit dem Verlieben geht zwar ziemlich schnell, aber da die beiden schon eine jahrelange (fast tägliche) Bekanntschaft pflegen, liegt es noch im Rahmen des Glaubwürdigen. Aus dem sozialem Status von LGBT-Beziehungen wird kein großes Melodrama geflochten, noch wird es großartig am Namen genannt. Aber außen vor wird es ebenfalls nicht gelassen. Angenehm ist auch, dass es nicht das einzige soziale Thema ist: Die Thematik um die Alleinerziehung von Chizu mit der sozial-genormten Idee, dass es ihr mit in einem klassischem Familienmuster besser ginge, spielt eine ebenso große Rolle. Hierbei macht Osawas Arbeitsgeber, Nobutaka, als Nebenfigur eine gute Figur. Als gemeinsamer Bekannter von Chizus Eltern und Yoshioka findet er zu beiden Thematiken klare Worte, ohne in die Falle von Moralpredigten zu tappen. Das obwohl selbst erst noch einige Vorbehalte hatte, aber diese sind als langjähriger Freund von Yoshioka und Chef von Osawa vielmehr auf deren Charaktereigenschaften gemünzt. Osawas Sexualität wird nie direkt thematisiert, aber mit den gegebenen Verlauf ist das vermutlich auch gar nicht so notwendig: Er selbst ist von den Normen zunächst stark eingenommen, sodass er sich zu Beginn eher hartnäckig als hetero betrachtet und nie auf die Idee gekommen wäre Männer als Partner in Betracht zu ziehen – und abgesehen von Yoshioka tut er es auch später nicht. Doch da er von Yoshioka schon wusste, wie er schwingt, bringt ihn das auch unwillkürlich dazu, ihn mit anderen Augen zu sehen und seine eigenen entstehenden Gefühle ehrlicher zu inspizieren, noch bevor sein Verstand es auf den Punkt gebracht hat. Und letztlich gesteht er sich auch ohne jede dramatische Erleuchtung ein: Es gibt eigentlich gar keinen wirklichen Grund, nicht zusammen zu sein (oder im Falle von Chizu: zusammen zu bleiben). Selbst bei den Bettszenen gibt es schon den Vorbau, dass Yoshiokas Charakter als relativ schlüpfrig-spitz etabliert ist, sodass das Vorhandensein intimere Berührungen und Avancen nicht allzu überraschend ist. Die Präsentation der Szenen selbst erscheint zugegebenermaßen etwas obligatorisch explizit. Aber es ist auch nicht das übliche Ergeben plötzlich aufkommender Hormonstürme, bei denen die Beteiligten aus dem Nichts wundersam wissen, was zu tun ist. Osawa hat von alldem keine Ahnung und der in dem Feld mehrfach erfahrene Yoshioka übernimmt die Führung, um ihm langsam einzuweisen.
Kompakt abgeschlossen, aber es gibt es noch mehr Lesematerial
Die Geschichte findet mit Band 2 einen runden Abschluss, aber tatsächlich gibt es aus Kai Asous Feder noch mehr Lesestoff um die Thematik Familie. Im Einzelband 1 Zimmer, Küche (2017, ebenfalls bei Kazé Manga) finden sich diverse voneinander unabhängige Einzelgeschichten und eine davon ist ein Prequel zu Trau dich, die Yoshiokas gescheiterte Beziehung vor Osawa beleuchtet. In Japan hat die Autorin noch ein Sequel-Kapitel Suki no Katei (dt. “Das liebevolle Zuhause”) veröffentlicht, das einen weiteren Einblick in die laufende Beziehung zwischen Osawa und Yoshioka wirft. Da es sich um ein selbst publiziertes Dojinshi handelt, dürfte eine deutsche offizielle Erscheinung allerdings höchst unwahrscheinlich sein. Offiziell publiziert hingegen ist Kai Asous sieben Jahre jüngere, aktuell laufende Reihe no, you na., ein Spin-off-Sequel, das zeitlich etwa zehn Jahre nach der Trau dich Handlung angesiedelt ist. Bei no, you na. handelt es sich nicht mehr um einen Boys Love-Titel und es dreht sich vor allem ungewöhnliche zustande gekommene vierköpfige Familie um Nobutakas Bruder Akito, der mit seiner Freundin Kinaho nach einem Todesfall in der Verwandtschaft die Brüder Touma und Haru aufnimmt. (Siehe auch 10 Mangas, die wir uns in Deutschland wünschen (Teil 4)). Doch auch wenn die der bekannte Cast um Osawa herum nicht mehr das Hauptaugenmerk ist, haben sie als Nebenfiguren wiederkehrende Auftritte, nun auch aus der Perspektive von Yoshioka, Chizu oder Nobutaka. Die kleine Familie lebt immer noch glücklich miteinander, aber muss sich ob ihrer Ungewöhnlichkeit noch immer hier und da um Verständnis ringen. Vor allem gibt no, you na. auch einen guten Einblick darin, wie die in Trau dich schon vorhandenen Stärken aber aufgrund mangelnder Technik noch nicht voll zur Geltung gebrachten Stärken hätten aussehen können, wäre die Reihe einige Jahre später entstanden: Expressive, versatile Ausdrucke auf weniger kantigen Gesichtern, die schon vor Worten eine klare Sprache zu sprechen vermögen, als auch ein ungemein bodenständiger respektvoller Umgangen mit verschiedensten Facetten des Lebens.
Fazit
Trau dich ist ein Titel, der bei seiner Erscheinung und Jahre danach komplett an mir vorbei gegangen ist und vermutlich auch weiterhin wäre, wäre ich nicht von meiner Zufallsentdeckung no, you na. so begeistert. Das liegt sicher auch am deutschen Titel, der wenig ins Auge fällt und auch eher eingeschränkt etwas mit dem Inhalt zu tun hat, geschweige denn mit dem Originaltitel “Sorenari ni Shinken nandesu” (dt. “Auf eigene Art ernsthaft”, eine Referenz zu Yoshiokas Marotte seiner früheren ständigen Partnerwechsel). Dass die Cover-Illustrationen obendrein auch eher nach generischem BL-Kitsch rüffeln, ist vermutlich auch nicht so ganz hilfreich. Das ist schade, denn auch wenn Trau dich die Grenzen seiner Boys Love-Genre-Schablone nicht wirklich verlässt, hat es interessante Figuren zu bieten. Für mich erscheint die Serie damit zusammen mit dem noch unausgereiften Zeichenstil ein wenig wie ungeschliffener Rohdiamant. Dennoch hat es irgendwie einfach eine Art erbauliche Wirkung zuzugucken, wie sich diese kleine Familie findet, die sich so gut ergänzt.
© Kazé Manga
Veröffentlichung: 4. März 2021