Dark (Staffel 3)

Die Zahl Drei hat sich durch die Jahrhunderte hindurch zum Arbeitstier entwickelt. Kein Konzept, das nicht ohne sie auskommt: Die Triade von Göttern, die drei Lebensphasen, das „Bis Drei zählen“ als Impulsgeber und – ganz wichtig – das trimagische Tunier bei Harry Potter. Auch bei Dark steht die Triqueta über allem. Sie symbolisiert die drei miteinander verflochtenen Zeitebenen, in denen vier Familien aus dem von Kindermorden geplagten Winden zu bestehen versuchen. Im Mai 2020 wurde Dark für seinen Mix aus Zeitreisesalat, 80er-Vibes und Apokalypse-Feeling zur „Besten Netflix Original-Serie” gekürt (selbst Stranger Things konnte nicht dagegen anstinken). Nun erreicht die erste deutsche Netflix-Produktion unter der Regie von Baran bo Odar – ganz im Sinne der Triqueta – mit ihrer dritten und letzten Staffel ihr lang ersehntes Finale.

Nachdem eine überraschend von den Toten auferstandene Martha (Lisa Vicari, Isi & Ossi) ihn vor der Apokalypse bewahrt hat, landet Jonas (Louis Hofmann, Die Mitte der Welt) in einer Parallelversion von Winden. Hier ist manches gleich, vieles aber auch anders. Vor allem aber: Jonas existiert hier nicht. Als Fremdkörper durchstreift er seine verregnete Heimat und trifft schließlich auf Eva (Barbara Nüsse, Der Tatortreiniger), die gealterte Version von Martha. Das verkompliziert die ganze Sache. Denn während Jonas‘ älteres Ich namens Adam (Dietrich Hollinderbäumer, heute-show) als Lösung des Problems den Zeitknoten zerstören möchte (Team „Sic Mundus“), gedenkt Eva genau das Gegenteil zu tun (Team „Erit Lux“). Jonas und Martha sitzen also zwischen den Stühlen. Sie sehen, was aus ihnen werden könnte – zwei Gegenspieler, die sich endlos bekriegen – und versuchen verzweifelt, diese Hölle zu vereiteln. Doch dafür dürfen sie weder auf Adam, noch auf Eva hören. Denn zwischen den Stühlen wartet ein weiterer, ein dritter Weg, von dem noch niemand etwas ahnt …

Spieglein, Spieglein …

Originaltitel Dark
Jahr 2020
Land Deutschland
Episoden 8 in Staffel 3
Genre Mystery, Drama
Cast Jonas Kahnwald (jung): Louis Hofmann
Adam: Dietrich Hollinderbäumer
Martha Nielsen: Lisa Vicari
Eva: Barbara Nüsse
Charlotte Doppler: Karoline Eichhorn
Ulrich Nielsen: Oliver Masucci
Hannah Kahnwald: Maja Schöne
H. G. Tannhaus: Christian Steyer
Claudia Tiedemann: Julika Jenkins
Noah: Mark Waschke
Seit dem 27. Juni 2020 auf Netflix verfügbar

Staffel 3 beginnt ganz typisch für Dark mit dem Blick auf die Ahnen-Galerie, die uns den gesamten Cast aus vier Familien noch einmal vor Augen führt. Sehr zuvorkommend von der Serie, ersetzt das aber dennoch nicht die Recaps, die man sich geben sollte, um wirklich jede eingerahmte Nase korrekt benennen zu können. Das ist aber kein Grund, sich als Zuseher schlecht zu fühlen, denn im Dark’schen Universum gibt es genug Figuren, die ebenso planlos sind und das mit an Wänden getackerten Stammbäumen zu kompensieren versuchen. Folge 1 knüpft inhaltlich an das Ende von Staffel 2 an. Zusätzlich zu den drei Zeitebenen, werden wir nun in die Thematik der Paralleluniversen eingeführt. In Dark handelt es sich bei jenem Paralleluniversum um ein „Spiegeluniversum“, in dem Häuser und Zimmer spiegelverkehrt angerichtet sind und auch die Menschen diesem Konzept unterworfen sind (Marthas Narbe: mal links, mal rechts). Darüber hinaus gestaltet sich jenes Spiegeluniversum wie eine Würfelpartie, denn die scheinbar festgelegten Merkmale einiger Figuren sowie manche Familienverhältnisse haben sich geändert: Charlottes Stummheit wird auf ihre Schwester übertragen, im Haus der Kahnwalds wohnen nun die Nielsens, Ullrich hat eine andere Affäre und der Polizist Wöller wechselt die Behinderung. Zu guter Letzt wird auch die Rolle des Heilsbringers in der knartschgelben Jacke neu besetzt: mit Martha.

Adam und Eva

Jonas als Erlöser in der einen Welt, Martha als Erlöserin in der der anderen. Dadurch emanzipiert sich Martha von ihrer Funktion als „Jonas‘ Love Interest“ und fügt dem Zeitreisesalat ein neues Gewürz hinzu. Erreicht wird das durch die bis dato unbekannten älteren Marthas, allen voran durch Barbara Nüsse als Eva (die älteste Martha), deren Präsenz ungeheures Gewicht hat und der Serie eine neue Klasse verleiht. Aus Martha wird eine eigene Heldin, die ebenso autark in die Geschichte eingreift wie Jonas, und mehr noch: die seine Gegenspielerin wird. Aus Martha und Jonas, die einstigen Liebenden, werden Eva und Adam, die ewigen Gegenpole. Sehr symbolträchtige Namen. Die Serienmacher lassen keinen Moment aus, um das Publikum und die Figuren selbst mit dem Holzhammer daran zu erinnern, welches religiöses Erbe sie hier verkörpern.

Der Dark’sche Stil I

Die oben genannten neuen Komponenten machen die dritte Staffel von Dark anfänglich interessant und wirken wie eine Erfrischungskur. Schnell aber findet die Serie wieder zum alten Trott zurück. Das Städtchen Winden kennt wie gewohnt nur einen Zustand: nervtötend depressiv. Dieser Zustand ist freilich gewollt bei einer Serie mit dem Titel „Dark“, doch wäre es anmaßend zu sagen, dass Dark unter einer Überdosis davon leidet? Es gibt kaum Momente, in denen mal nicht die unheilvolle Synth-Mucke dröhnt, in denen die Figuren nicht außer Atem oder geschockt sind oder aus verwässerten Augen einander anstarren. Auch scheinen sich die Macher bei jeder einzelnen Episode zu fragen: „Wie beenden wir das denn jetzt?“ und immerzu zur selben Antwort zu gelangen: „Mit ‘nem depri Musikvideo in Slomo, klare Sache.“

Der Dark’sche Stil II

Ebenfalls ein Markenzeichen von Dark: Kalendersprüche. Für gewöhnlich betreten die Figuren leise die Szenerie (inkl. Synth-Mucke), taxieren sich bedeutungsschwanger und machen dann den Mund auf. Alles, was dann zu hören ist, ist ein serieninternes Klischee; eine Variation von „Zeit ist ein ewiger Kreis“ oder „Wir kennen unser Ende nicht, aber unser Ende kennt uns“ oder „Alles ist miteinander verbunden“ etc.. In seinen Dialogen (bzw. richtiger wäre wohl Monologen) gestaltet sich Dark unfassbar repetitiv. Die prophetischen Plattitüden stauen sich und mit ihnen auch der Fortgang der Geschichte. Aus den geschwollenen Dialogen ergibt sich zudem, dass es um die Empathie für die Figuren nicht mehr ganz so gut bestellt ist. Es gibt keine kleinen Momente abseits des Main-Plots mehr, in denen man sich in die Charaktere verlieben könnte und die nicht mit dem Mysterium zu tun haben. Alle Dialoge sind großspurig und/oder inflationär dramatisch.

Das simple Finale

Immerhin, und das muss man Dark zugutehalten, endet die Serie leicht verständlich. Ungeachtet dessen, ob man wirklich alle Details mitgenommen hat und die Verwicklungen von Zeitebenen, Parallelwelten und Familienstammbäumen in seiner Gänze durchsteigt, versteht man zumindest das große Ganze mit seinem Mysterium und der Message dahinter. Wir verstehen, wer für den Zeitreisesalat verantwortlich ist. Wir verstehen, wie derjenige das getan hat und aus welchem Grund. Dark endet überraschend banal, denn trotz der ganzen intellektuellen Geschütze, die die Macher auffahren, wie etwa „Quantenverschränkungen“, „Schrödingers Katze“, „Dualismus ist schlecht“, läuft doch alles wieder auf die ollen menschlichen Gefühle hinaus. Der unverarbeitete Tod eines Geliebten gebiert neue Welten mit neuem Leben. Leben voller Qualen, die enden und wieder neues Leben zur Folge haben – ein ewiger Kreislauf. Dieser Kreislauf wird fortbestehen, weil auch Adam und Eva den Tod ihrer Liebsten nicht akzeptieren wollen. Wir lernen: Wer den Tod nicht akzeptieren kann, der ist echt angeschmiert. Im Grunde seines Herzens ist Dark eine einzige Anleitung zur Trauerbewältigung – mit ein paar mindfuck extra steps.

Fazit

Das Konstrukt um Dark ist komplex. Was das betrifft, muss ich meinen Hut vor den Machern ziehen, denn diese ganzen Verstrickungen haben sicher viel Schweiß gekostet. Dark ist aber auch chaotisch. Freilich ist das Absicht (oder als Absicht getarntes Unvermögen), dann aber sollte eine Serie idealerweise über eine weitere Fähigkeit verfügen: Entweder, sie triggert bei den Zusehern die Wut des Verstehens, damit diese sich freiwillig aufmachen, alles zu rewatchen, Details zu sammeln und Plotbäume anzufertigen – freiwillig also viel Zeit in das Universum stecken. Oder aber die Serie erzeugt Demut. In diesem Falle akzeptieren die Zuseher das Chaos, da es natürlich wirkt und in seiner natürlichen Schönheit schlicht das eigene Verständnis übersteigt – so wie es sein soll. In meinem Falle trifft nichts davon zu. Weder will ich zu Recherchezwecken ins Serienuniversum abtauchen, noch sehe ich eine überbordende Schönheit, die mich demütig macht. Bei mir herrscht stattdessen pure Indifferenz. Ich konnte mich mit keinem einzigen Charakter auf irgendeine Art und Weise verbinden, fast alle gingen mir gehörig auf den Keks, und die Philosophie hat mich kalt gelassen. Dark ist so unfassbar repetierend, ermüdend und nervig, dass ich mich nebenbei sogar durch 9GAG gescrollt habe. Dass Dark auch einen anderen Effekt auf das Publikum haben kann, zeigt die riesige internationale Fan-Community, die sich rege u.a. am Dark-Wiki beteiligt (von den Auszeichnungen, die die Serie einheimst, mal abgesehen). Aber ich gehöre nicht dazu. Nach Staffel 1 war ich zugegeben begeistert. Nach Staffel 3 allerdings sehe ich nur die 25 Stunden, die ich mir sinnlos den Hintern platt gesessen habe und die ich nicht mehr zurückbekommen werde – außer durch Zeitreisen. Aber dafür muss ja mindestens jemand gestorben sein.

© Netflix

Totman Gehend

Totman ist Musiker, zockt in der Freizeit bevorzugt Indie-Games, Taktik-Shooter oder ganz was anderes und sammelt schöne Bücher. Größtes Laster: Red Bull. Lieblingsplatz im Netz: der 24/7 Music-Stream von Cryo Chamber auf YouTube.

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