Ms. Marvel
Nach dem düsteren Moon Knight macht das Marvel Cinematic Universe mit Ms. Marvel eine Kehrtwende: Es wird bunt, laut, poppig und vor allem divers. Das Alleinstellungsmerkmal der zwischen Juni und Juli 2022 auf Disney+ ausgestrahlten Serie: Erstmalig tritt hier eine muslimische Heldin auf. Das Ergebnis wurde von den Kritikern gefeiert, aber in Sachen Abrufzahlen hinkte die Serie anderen MCU-Produktionen auf Disney+ hinterher.
Die Schülerin Kamala (Iman Vellani) hat pakistanisch-amerikanische Wurzeln und lebt bei ihrer Familie. Sie ist großer Fan von Carol Danvers alias Captain Marvel und ihr größter Wunsch ist es, gemeinsam mit ihrem Vorbild die Welt zu retten. Die fehlenden Superkräfte halten sie allerdings nicht davon ab, ein großer Nerd zu sein. Ihr Leben nimmt allerdings eine schlagartige Wendung, als sie einen Armreif ihrer Urgroßmutter findet, durch welchen sie unverhofft an Kräfte gerät. Ehe Kamala sich versieht, ist sie selbst in der Lage, Großes zu vollbringen. Doch wie soll sie das ihren konservativen Eltern erklären, die alleine schon ein Problem damit haben, dass Kamala die AvengersCon besuchen will? Außerdem sitzt die Schule im Nacken und dann wird sie auch noch zur Zielscheibe, da es jemand auf ihre Kräfte abgesehen hat …
Repräsentation und Diversität
Originaltitel | Ms. Marvel |
Jahr | 2022 |
Land | USA |
Episoden | 6 |
Genre | Action, Drama, Komödie |
Cast | Kamala Khan / Ms. Marvel: Iman Vellani Muneeba Khan: Zenobia Shroff Bruno Carrelli: Matt Lintz Nakia Bahadir: Yasmeen Fletcher Yusuf Khan: Mohan Kapur Amir Khan: Saagar Shaikh Zoe Zimmer: Laurel Marsden Kamran: Rish Shah Agent Sadie Deever: Alysia Reiner Agent P. Cleary: Arian Moayed |
Seit 13. Juli 2022 vollständig auf Disney+ |
Ihr Comic-Debüt feierte Ms. Marvel 2013, womit sie zu den Figuren zählt, für die vergleichsweise wenig Zeit zwischen Comic-Ursprung und Transfer ins MCU-Erzähluniversum liegt. Allerdings konnte sie in der kurzen Spanne eine beachtliche Fanbase aufbauen, da die Heftserie Zeitgeist und Nerv der jüngeren Fans traf. Kamala Khan ist nämlich neben Peter Parker die einzige Figur des MCU (nicht bei Marvel allgemein, man denke nur an The Runaways), die sich im Highschool-Alter befindet und deren Leben überwiegend dort stattfindet. Das macht sie nicht einzigartig, räumt ihr aber einen besonderen Stellenwert ein. Denn wo andere Superhelden schon ausgebildet oder erfahren sind, steht Kamala am Anfang und hat den Weg in die Öffentlichkeit noch vor sich. Als erste muslimische Superheldin wird ihr außerdem eine wichtige Rolle zuteil: Sie steht für die Repräsentation einer Protagonistin mit Superkräften, die zur Abwechslung mal nicht aus den USA stammt und obendrein eine andere Ethnizität und Religion mitbringt.
Kein Teil der Woke-Bewegung
Was sich in zahlreichen Ohren anhören mag wie ein Teil einer Woke-Bewegung (das Schaffen eines Bewusstseins für Rassismus und soziale Gerechtigkeit) hat allerdings weitaus ältere Wurzeln. Streng genommen existiert der Name Ms. Marvel bereits seit 1977 und wurde von mehreren Figuren seitdem getragen. Die der Serie zugrunde liegende Comic-Serie Ms. Marvel stammt aus dem Jahr 2013. Da existierte ein “woke”r Begriff noch gar nicht. Die Comic-Grundlage fand großen Anklang, erhielt 2015 den seit 1953 verliehenen Hugo Award und im selben Jahr folgte eine Nominierung für den Eisner Award. Dass man sich bei Marvel diese Geschichte nicht entgehen lassen wollte, liegt also auf der Hand. Schließlich ist Diversität ein Unternehmenswert, der stetig vorangetrieben wird. Gleichzeitig war im Vorfeld bereits bekannt, dass Kamala Khan Teil des zweiten Captain Marvel-Films sein sollte und ihre Serie der Einführung ihrer Figur dient.
Narrativ hakelig
Das Storytelling von Ms. Marvel ist Fluch und Segen zugleich: Die Geschichte wird beinahe am Stück durcherzählt und nur eine Episode zwischendrin dient als Rückblende, um Informationen zu beschaffen. Das sorgt dafür, dass innerhalb der nur sechs Folgen keine Langeweile aufkommt. Gleichzeitig gibt es allerdings auch vergleichsweise wenig von wirklicher Tragweite zu erzählen. Bereits im zweiten Drittel zeichnet sich ab, dass so etwas wie Fallhöhe nicht existiert, und wer nun überhaupt der oder die Bösewichte sein soll, bleibt lange offen. Auch alle zuvor eröffneten Konflikte lösen sich kurz vor Ende schnell in Wohlwollen auf, während auch die Nebenfiguren nur vordergründig eine eigene Agenda zu verfolgen scheinen. Am Ende dreht sich alles nur um Kamala, so dass die Motivation anderer Figuren spürbar abgeschnitten wird. So wird mit Nakia (Yasmeen Fletcher) etwa eine beste Freundin eingeführt, mit der es zu einem Konflikt kommt, welcher gegen Ende unter den Teppich gekehrt wird, da keine Zeit für Weiteres bleibt. Ebenso ist da die persönliche Herausforderung, die Nakia innerhalb ihres Erzählstrangs erhält, maximal vorhanden, um ihren Status als selbstbestimmte junge Frau zu unterstreichen, aber wirklich viel bekommt man davon nicht mit. Und wer ist eigentlich Kamalas überaus beliebte Mitschülerin Zoe? Eine Figur, die eingeführt wird, um im Laufe der Serie abzutauchen und im Finale plötzlich Beteiligung an etwas zu zeigen, das zuvor marginal angerissen wird. Es sind Unstimmigkeiten dieser Art, welche die Interaktionen der Figuren trüben. Über Kamalas potenzielle Romanzen (nicht dass es die zwingend bräuchte) spricht man besser gar nicht erst, denn auch dort bleibt eine Menge Potenzial liegen. Besonders schwierig ist die Tatsache, dass die letzte Folge mit einer gewissen Aussage, die mal eben das gesamte MCU in ein neues Licht rückt, die Bombe platzen lässt. Diese wurde, was durch die Drehbuchautoren bereits bestätigt wurde, auch nur nachträglich ins Skript geschrieben, womit der Eindruck entsteht, dass so einiges nicht von Anfang an geplant war und nachträglich eingebaut wurde, um Relevanz zu gewinnen. So wandert die Serie ihre wichtigsten Storypfeiler geradlinig ab, ohne zu sehr ins Detail zu gehen, und endet ohne großen Knall. Diesen Effekt muss eben jene Ankündigung mit sich bringen.
Frenetische Energie
An darstellerischer Front gibt es wenig zu motzen. Iman Vellani ist ein bislang unbeschriebenes Schauspiel-Blatt und steht ganz in der Tradition Marvels, neue Gesichter hervorzubringen. Vor allem der Cast, der Kamalas Familie bildet, gibt ein stimmiges Zusammenspiel ab. Kamalas Familie ist sogar derart dynamisch, dass man eine ähnlich aufgelegte Familienbande im MCU lange suchen müsste. Als Serie mit dem Fokus Familie übererfüllt die Serie ihr Ziel mit einer emotionalen Familiengeschichte sogar. Ob man sich von soviel Charme verzaubern lässt, hängt letztlich auch davon ab, ob man mit Action im kleinen Format konform gehen kann. Weniger beeindruckend sind die CGI-Szenen, die weder mit den großen Kinoproduktionen noch mit den vorausgegangenen Serien mithalten können. Viele Actionszenen gibt es nicht, so dass gerade die wenigen leider kaum Eindruck hinterlassen. Ein wenig kompensiert wird das durch die vor allem in der ersten Serienhälfte liebevollen Einschübe, wenn auf ausgefallene Stilmittel zurückgegriffen wird, um Kamalas Leben im Avengers-Fandom zum Ausdruck zu bringen. Soviel Convention und Fanliebe ist schon wieder ein Meta-Einschub.
Fazit
Ms. Marvel bringt selbst dann, wenn man einmal alle kulturellen Hintergründe bei Seite lässt, frischen Wind ins Marvel Cinematic Universe. In Sachen Diversität ist der Auftrag erfüllt: Viele Stars des indischen und pakistanischen Kinos geben sich die Klinke in die Hand geben. Dadurch wirkt jeder sehr authentisch und man wird regelrecht in diese Welt hineingesogen. Iman Vellani gibt eine spektakuläre Darbietung der Kamala Khan ab und bringt jenen jugendlichen Esprit mit, den die Figur für ihre Glaubhaftigkeit benötigt. Nur erzählerisch kränkelt die Serie massiv daran, dass sie eine Origin Story liefert, deren emotionaler Pay-off aus einem Mutter-Tochter-Konflikt besteht, über den hinaus es wenig Aufregendes gibt. In Sachen Antagonisten liefert die Serie vielleicht sogar den bislang schlechtesten Eintrag ab.
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