Spuk in Bly Manor
Der Oktober ist traditionell der Monat, in dem Verleiher und Streamingdienste ihren geballten Horror-Content auf die Konsumenten loslassen. Mit der losen Roman-Adaption Spuk in Hill House landete Netflix 2018 einen beachtlichen Hit. Die Resonanzen gaben der Serie Recht und Serienschöpfer Mike Flanagan erdachte rückwirkend eine Anthologie-Serie, die sich einfach nur “The Haunting” nennt. Die zweite Staffel Spuk in Bly Manor kann also ganz unabhängig von der ersten Staffel betrachtet werden und basiert ebenfalls wieder auf einer Novelle: Die Drehung der Schraube von Henry James, erstmals 1898 erschienen. Im Grunde benötigt es also einfach nur ein Haus mit einer Geschichte, um den Erzählkosmos ewig so weiterspinnen zu können. Spuk in Bly Manor erzählt aber nicht einfach nur eine Geschichte, sondern bastelt sich einen Wulst aus Hommagen an die Horrorliteratur, Geistern mit Persönlichkeit, Romanzen und wiederkehrenden Darstellern in neuen Rollen. Nun bleibt es nur noch spannend, ob das Niveau des gefeierten Auftakts gehalten werden kann.
London der späten 1980er: Henry Wingrave (Henry Thomas, Gangs of New York) findet in der Amerikanerin Danielle Clayton (Victoria Pedretti, You – Du wirst mich lieben) das richtige Au-Pair-Mädchen, das sich um seine Nichte Flora (Amelie Bea Smith) und seinen Neffen Miles (Bejamin Evan Ainsworth) kümmern soll. Seit dem Tod der Eltern leben die beiden Kinder mit der langjährigen Haushälterin Mrs. Goose (T’Nia Miller, Years and Years) auf einem Landsitz in der Grafschaft Essex. Danielle wird freundlich von allen Angestellten empfangen, obwohl über dem isolierten Anwesen ein tiefer Schatten liegt: Die letzte Nanny kam auf mysteriöse Weise ums Leben. Auch Dani fühlt sich zunehmend beobachtet und von Blicken verfolgt. Hinter den Gemäuern des alten Herrenhauses warten zahlreiche Geheimnisse …
Gothic Romanze
Originaltitel | The Haunting of Bly Manor |
Jahr | 2020 |
Land | USA |
Genre | Horror, Drama, Romanze |
Cast |
Danielle Clayton: Victoria Pedretti
Peter: Oliver Jackson-Cohen Jamie: Amelia Eve Mrs. Grose: T’Nia Miller Owen: Rahul Kohli Flora: Amelie Bea Smith Miles: Benjamin Evan Ainsworth Henry Wingrave: Erzählerin: Carla Gugino |
Auf Netflix verfügbar |
Spuk in Bly Manor tritt in große Fußstapfen, schließlich gelang es Spuk in Hill House, die Streaming-Zuschauer*innen gebannt an die Bildschirme zu fesseln und einen modernen Klassiker im Serienformat zu etablieren. Eine neue Staffel könnte also nun die bewährte Formel imitieren oder aber eigene Wege beschreiten. Das Erfreuliche ist: Spuk in Bly Manor entscheidet sich für beides. Obwohl sich die Staffel in ihren Grundzügen (nicht zuletzt dank vielen vertrauten Gesichtern des Ensembles und Carla Gugino als Erzählerin) unheimlich vertraut anfühlt, definiert sie den Begriff Horror für sich neu und vermischt ihn so sehr mit anderen Genres, dass das Ergebnis daraus hohes Potenzial besitzt, um unter den Zuschauenden zu polarisieren. Es ist schwer, nach den neun Folgen noch wirklich von einem Haunted House Terror zu sprechen. Viel passender ist da der Begriff der Gothic Romanze, aber auch das will (und muss) selbst erlebt werden, um die Staffel dort einzusortieren.
Horror als irdischer Anker
Angesiedelt ist die Serie inmitten des (un)umstritten beliebtesten Popkultur-Jahrzehnts, den 80ern. Das sorgt nicht nur smartphonefreie Erzählung (und dem dementsprechend ausbleibenden Digital-Grusel), sondern auch für stilechtes Auftreten mit bis zum Bauchnabel hochgezogenen Jeans und dekadentypischen Frisuren. Spuk in Bly Manor ist aber keine dieser Produktionen, die ihr Jahrzehnt ständig zur Schau stellen will, sondern konzentriert sich von Beginn an auf das Wesentliche: Fein säuberlich ausgearbeitete Charaktergeschichten. Das mag sich insbesondere im Horror-Genre ungewohnt anhören, mausert sich aber schon nach kurzer Zeit zu einem der reizvollsten Punkte. Denn Horror spielt sich nicht zwingend im Fantastischen ab, sondern findet sich auch im Alltag wieder, ohne bewusst als solcher wahrgenommen zu werden. Deswegen konzentriert sich das erste Drittel auf die irdischen Dramen: Krankheit (Demenz steht dabei wie so häufig an erster Stelle), Angst (vor Menschen und Nähe) und Kontrollverlust (im zwischenmenschlichen Bereich).
Erschreck dich woanders
Themen, die Horror-Fans nur bedingt anlocken, immerhin steckt Spuk in Bly Manor knietief im Drama-Genre, und das bleibt bis zum Ende hin auch so. Von Jump-Scares und anderen einfach gefundenen Erschreckmitteln sieht Flanagan in seiner Produktion fast vollständig ab. Die klassische Ausrichtung wird konsequent durchgezogen. Das bedeutet, dass der Grusel durch die Atmosphäre und die geschichtlichen Wendungen entsteht anstatt durch den Schnitt. Damit wirkt die Fortsetzung wie ein verlorenes Relikt aus früheren Zeiten (noch weit vor den 80ern). Diese (formale) Staubschicht steht ihr ungemein gut und ist gleichzeitig auch die größte Herausforderung, wenn es darum geht, eine Zielgruppe zufrieden zu stimmen. Ein Großteil der Zuschauer wird schon in der ersten Hälfte das Handtuch werfen. Denn die langsam erzählten Geschichten erfordern Geduld und vor allem volle Konzentration. Wie bereits in der Vorgänger-Staffel sind allerhand Easter Eggs in den Hintergründen zu entdecken. Erschrecken werden sich erfahrenere Horror-Fans allerdings kaum. Das Unheimliche bleibt unterm Strich eher eine Randnotiz, auch wenn eine gesichtslose Frau und ein Mann mit grell funkelnden Augen herumgeistern. Sie sind immer Teil der Geschichte und keine Effekthascher.
Konfusion durch Zeitspielereien
Ab der fünften Folge etwa kommt die Handlung dann auch in Gang. Spuk in Hill House-Zuschauer sind dieses gemächliche Tempo bereits gewohnt, denn auch die erste Staffel hatte es nie eilig damit, mit den horrorhaften Entwicklungen voranzuschreiten. Folge 7 hebt sich optisch noch einmal ab: In edler schwarz-weiß-Präsentation gibt es einen Ein- und Überblick auf die Historie des 18. Jahrhundert inklusive Querverweisen zu Spuk in Hill House, um den Fluch Blys zu erforschen. Chronologie ist dabei zu vernachlässigen: Zwischenzeitig gerät alles durcheinander, Wahrheit vermischt sich mit Vision, Realität mit Einbildung. Eine gelungene Verschmelzung der Ebenen, die mindfuckartige Züge annimmt und die Zuschauerschaft so richtig herausfordert. Doch am Ende greifen die Verbindungen immer und alle Irritationen lösen sich in dem Gefühl auf, dass alles logisch miteinander verknüpft ist.
Düstere Poesie
Bly Manor darf ohne Frage wohl als eine der emotionalsten Schauerserien bezeichnet werden. Hierbei stehen große Gefühle im Vordergrund, zwischenzeitig suhlt sich die Handlung in tiefer Romantik. Das kann im besten Falle die Figuren noch greifbarer machen, im schlechtesten Falle rührselig herüberkommen. Auch dafür kommt es ganz darauf an, wie zugänglich Zuschauer*innen für die betont gefühlvolle Erzählweise sind. Im Best Case holt einen das Ende mit seinem ausgedehnten Prolog dann auch so richtig ab und vermag unter die Haut zu gehen. Selbst die Erzählerin der Geschichte (eine ergraute Carla Gugino (San Andreas)), die die Handlung auf einer Hochzeit in der Gegenwart als Rückblende erzählt) ist eine Persönlichkeit mit eigener Leidensgeschichte. Weshalb Dani ursprünglich nach England gekommen ist, warum Henry nicht selbst auf die Kinder aufpasst oder warum Miles aus dem Internat geflogen ist: all das wird detailliert und gefühlsbetont in separaten Folgen aufgelöst.
Fazit
Spuk in Bly Manor präsentiert sich nicht nur als würdevolle zweite Staffel, sondern kann als vollkommen eigenständige Geschichte verstanden werden. Die emotionale Erzählweise und die neuen erfrischenden Ansätze greifen so selbstbewusst ineinander, dass ein schaurig-romantisches Oldschool-Grusel-Feeling kaum besser treffen hätte können. Die gemächliche Erzählweise stellt sich als Gift für Ungeduldige und Nebenbei-Gucker heraus: Diese Serie will aufmerksam geschaut werden und bietet durchaus Anreize, um sie auch in aller Ruhe genießen zu dürfen. Vorausgesetzt werden neben Geduld auch Empathie, um an den ausführlichen Geschichten der Lebenden und Toten teilnehmen zu können. Selbst wer nichts mit aller Gemächlich- und Gefühlslastigkeit anfangen kann, wird zumindest von dem grandios gecasteten Ensemble angetan sein. T’Nia Miller begeistert als tragische Haushälterin mit viel Präsenz und die beiden Kinderdarsteller*innen bewegen sich glaubhaft zwischen Unschuld und Unruhe. Die Handlung hätte mit all dem Gewicht auf den Beziehungen schnell auf Soap-Niveau ankommen können, wird aber von der schauspielerischen Klasse hochgehalten.