The Alienist: Die Einkreisung (Staffel 2)
Ein kostümgewaltiger Historienkrimi mit dichter Atmosphäre mit namhafter Besetzung – man möchte fast das furchtbare Wort „Starpower“ benutzen – und mit einem soliden Plot. Die erste Staffel von The Alienist: Die Einkreisung hat viel zu bieten, leider auch eine schnell abflachende Spannungskurve. Seit Oktober 2020 bietet Netflix im deutschen Abonnentengebiet zudem die zweite Staffel der Serie rund um das Ermittlertrio von Sara Howard, John Moore und Dr. Laszlo Kreizler an, in der sie es mit einem weiteren Serientäter aufnehmen müssen, der ausgerechnet Säuglinge entführt und umbringt.
Ein Jahr nach den Ereignissen der ersten Staffel: Die junge Mutter Martha Napp wird auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet für den vermeintlichen Mord an ihrem neugeborenen Kind. Die Unschuldsbeteuerungen der Verurteilten interessieren die Justiz dabei genauso wenig wie Gutachten Dr. Kreizlers vor Gericht, Artikel von John Moore in der New York Times oder eine flammende Rede Sara Howards im Hinrichtungssaal, die sich allesamt für die Unschuld Martha Napps aussprechen, zumal bisher keine Leiche des Kindes aufgefunden wurde und es vielleicht sogar noch lebt. Doch alle Mühen bleiben vergeblich. Sara, die inzwischen aus der Polizei ausgeschieden ist, um eine eigene Privatdetektei zu eröffnen, wird wenig später zu einem Fall hinzugezogen, der ebenfalls ein neugeborenes Kind involviert. Die Tochter des spanischen Botschafterpaares Linares wurde entführt. Da die populistische Presse rund um Verleger William Randolph Hearst (der Vater von Johns frisch Verlobten Violet) Kriegsstimmung gegen Spanien schürt und von der korrupten Polizei keine ernsthafte Hilfe zu erwarten ist, wendet sich die verzweifelte Mutter an Sara. Als dann, aufgemacht wie eine Puppe, in einem Spielzeugladen schließlich die vergiftete Leiche von Martha Napps Baby auftaucht und sich die Entbindungsklinik von Dr. Markoe als Gemeinsamkeit der beiden entführten Kinder herauskristallisiert, findet sich um Sara schnell wieder das alte Ermittlerteam bestehend aus John, Laszlo und den Gebrüdern Isaacson zusammen. Zudem schafft es Sara auch innerhalb der Klinik mit der Pflegerin Libby Hatch eine Verbündete für ihre Ermittlungen zu finden. Doch die Zeit rennt, denn mit jedem Tag, der vergeht, steigt die Gefahr, dass auch das Linares-Baby tot aufgefunden wird.
Team Alienist vs. The Legion of Doom
Originaltitel | The Alienist: Angel of Darkness |
Jahr | 2020 |
Land | USA |
Episoden | 8 in Staffel 2 |
Genre | Krimi, Thriller |
Cast | Laszlo Kreizler: Daniel Brühl Sara Howard: Dakota Fanning John Moore: Luke Evans Marcus Isaacson: Douglas Smith Lucius Isaacson: Matthew Shear Cyrus Montrose: Robert Wisdom Thomas Byrnes: Ted Levine Libby Hatch: Rosy McEwen Goo Goo Knox: Frederick Schmidt |
Seit 22. Oktober 2020 auf Netflix verfügbar |
Wie schon in der ersten Staffel besticht The Alienist mit einer dichten Atmosphäre, hervorgerufen durch die musikalische Untermalung und das mit Kostümen und Tricktechnik zum Leben und Atmen wiedererweckte New York am ausgehenden 19. Jahrhundert. Die Handlung führt dabei durch den dekadenten Glanz der Oberschicht bis in gewaltbelastete Armenviertel, in der die Bande der Hudson Dusters rund um ihren Anführer Goo Goo Knox ihr Unwesen treibt. Auch das Hauptdarstellertrio bestehend aus Dakota Fanning, Daniel Brühl und Luke Evans besticht wieder mit facettenreichem Schauspiel genauso wie Libby Hatch-Darstellerin Rosy McEwen, die – obwohl dies ihre erste Rolle vor laufender Kamera ist – schauspielerisch diverse mitreißende Ausrufezeichen setzen kann. Neben dem größtenteils aus der ersten Staffel bekannten Inventar an Nebenfiguren und ihren Darstellern wird der Cast zudem in Staffel 2 durch Matt Letscher (Eobard Thawne in den DC-Serien The Flash und Legends of Tomorrow) in historischer Rolle von Medienmogul William Randolph Hearst und Michael McElhatton (Roose Bolton in Game of Thrones) als Dr. Markoe erweitert, die zusammen mit dem Ex-Polizeichef Byrnes (Ted Levine, Monk) für die Ermittler einen Kreis an Gegenspielern abseits des gesuchten Babymörders stellen.
Nur von einem gespannten Bogen fliegt ein Pfeil ins Ziel
Diesen Stärken einer stimmungsvollen Inszenierung und eines gekonnten Schauspiels steht in der ersten Staffel eine Spannungskurve gegenüber, die eben diese Spannung durch verwässernd ausartende Nebenschauplätze der Handlung schnell verliert. Staffel 2 von The Alienist macht da einiges besser. Zwar haben Nebenfiguren wie die Isaacsons, Cyrus oder Byrnes gleichsam noch ihre eigenen Handlungsstränge, die aber genauso wie die Fortführung etwaiger romantischer Gefühle zwischen Sara und John oder Laszlos Beziehung zu Kollegin Dr. Stratton als Nebenschauplätze abseits der Ermittlungsarbeit sehr viel knapper gehalten sind, sodass die Haupthandlung immer präsent bleibt. Auch hilft es, dass der Täter in dieser Staffel schon relativ früh enttarnt wird. Blieb dieser in der Vorgängerstaffel bis zum Schluss ein Phantom, das nur aus der Ferne zu ergründen versucht wird und sich letztlich dem Verständnis von Ermittlerteam und Zuschauern nur theoretisch und unvollständig offenbart, wird dieses Mal auch die Täterseite offen den Zuschauern gezeigt. Diese wird dabei soweit durchdrungen, dass sie verstanden werden kann und soweit kennengelernt, dass neben Abscheu über die Taten auch eine Spur Mitleid für den Menschen dahinter entstehen kann. Zudem findet damit mitten in der Staffel ein Schwerpunktwechsel statt: weg von der deduktiven Tätersuche, hin zu einer Täterjagd mit stärkeren Thriller-Elementen, die besonders für Sara zunehmend persönlich wird. Durch eine überzeugendere Antagonistenseite, abgespeckte Nebenschauplätze und auch eine hinfällig gewordene Exposition der Hauptfiguren kann die zweite Staffel die Spannung von Anfang bis Ende sehr viel besser aufrechterhalten.
Wenn Autoren unverschämterweise keine Bücherfabriken sind
Ob und wann Staffel 3 bzw. eine dritte Miniserie folgt, steht zunächst wohl noch in den Sternen. Auch wenn die zweite Staffel an die Erfolge der ersten anknüpft und alle Beteiligten willig sind, dürfte ein problematischer Faktor sein, dass die Serie mit der Umsetzung von Angel of Darkness den Veröffentlichungsstand der Vorlage – die Romanserie rund um Dr. Kreizler von Caleb Carr – schon eingeholt hat. Der 2016 erschienene Folgeroman Surrender, New York spielt zwar im selben Story-Universum, behandelt jedoch lediglich zwei Ermittler in Nachfolge von Dr. Kreizler im zeitgenössischen New York des 21. Jahrhunderts. Die tatsächliche Fortsetzung The Alienist at Armageddon war zunächst für 2019 angekündigt, ist jedoch nun voraussichtlich auf das Jahr 2022 verschoben. Sollten die Serienmacher und ihr produzierender Sender TNT alsbald eine dritte Staffel angehen wollen, wären sie wohl entweder dazu gezwungen, sich eine eigene Handlung abseits der Vorlage auszudenken oder wie die letzten Game of Thrones-Staffeln mit groben Handlungsumrissen des Autors zu arbeiten und diese selbstständig auszufüllen. Beides wäre für sogenannte Fankreise wohl Vorwand für Knatsch. Da The Alienist at Armageddon jedoch handlungstechnisch gute 18 Jahre nach The Angel of Darkness in den Anfangsjahren des Ersten Weltkriegs ansetzen soll, wäre es denkbar, dass auch die TV-Serie erstmal gänzlich pausiert.
Fazit
Staffel 2 spielt die Stärken der ersten gekonnt wieder aus und macht eigentlich alles besser, was ich an Staffel 1 noch kritisieren konnte. Wie zudem das New York des Jahres 1897 inszeniert wird, ist teilweise wirklich atemberaubend, immerhin wird dabei auch eine ganze, nicht mehr existente Skyline rekonstruiert. So richtig mitgerissen hat mich jedoch auch die zweite Staffel nicht, aber es ist eigentlich schwer, objektiv einen Makel festzustellen, weswegen ich davon ausgehe, dass sie schlicht nicht meine Präferenzen trifft (besonders Kindsmorde als Schockeffekt finde ich weniger gut …). Es ist im schemastatischen Krimi-Genre vielleicht auch insgesamt schwer, mich positiv zu begeistern und trotz Hochglanzpräsentation bleibt The Alienist im Kern ziemliche Standartkost, die viele Variationen, aber keine Innovationen bietet. Sowohl Freunden von Historiendramen wie auch von stimmungsvoll düsteren Krimis ist die Serie mit Staffel 2 jedoch sehr zu empfehlen.
© Netflix