Star Trek: Picard (Folge 1×06)

Da hat Star Trek: Picard in nur fünf Folgen schon eine kleine Tradition begründet: Jede Folge beginnt mit einem Rückblick. Und prompt kann man in Folge 6 damit ironisch herumspielen. Denn was wie eine Kindheitserinnerung von Soji aussieht, kann gar keine sein. Wir wissen bereits: Soji ist ein Android, also hat sie keine Kindheit, in der sie Angst vor Gewitter oder dem schimpfenden Papa gehabt haben könnte. Nur künstlich eingepflanzte Erinnerungen an eine Kindheit, die es niemals gab. Na, mal schauen, was Star Trek: Picard Folge 6 damit anstellt …

Soji wacht aus einem immer gleichen Alptraum auf, in dem sie verbotenerweise das Labor ihres Vaters betritt. Narek heuchelt Mitgefühl, denn er glaubt, endlich auf der richtigen Spur zu sein. In Sojis Traum muss es einen Hinweis geben, der ihm bei seiner Mission, alle Androiden aufzuspüren und zu vernichten, nützlich sein kann. Also überredet er sie zu einem romulanischen Ritual, das Klarheit in Sojis Verwirrung bringen soll. Dr. Maddox konnte vor seinem Tod nur eine wirklich wichtige Information weitergeben: Soji ist auf dem verlassenen Borgwürfel. Also Kurs auf das Artefakt! Eine schwierige Mission, denn so ohne weiteres wird man dort nicht vorgelassen, wenn man Picard heißt. Und außerdem quälen Picard seine traumatischen Erinnerungen an seine Zeit im Borg-Kollektiv. Zum Glück kann ihm ein alter Freund weiterhelfen, just in dem Moment, als Narek die Information ergattert hat, die er haben wollte und nun Soji beseitigen will, die durch Zwischendecken des Artefakts flieht. Wie gut, dass der Ex-Borg Hugh sich auf dem Würfel so gut auskennt…

Picard und die Borg: Stelle dich deinen Dämonen

Wer wissen will, was Picard mit den Borg erlebt hat, der muss sich einen langen Ausflug zu Star Trek: Next Generation gönnen. Star Trek: Picard hat das Thema schon mehrfach angerissen, aber mehr auch nicht. Die Borg assimilieren in ihr Kollektivbewusstsein, wen sie kriegen können, bauen ihren Opfern Metallteile ein und pfuschen in ihren Gehirnen herum. Der Weg zurück ist möglich, aber schmerzhaft und mit Spätfolgen behaftet. Auch Picard wurde einst zu einem Borg namens Locutus und allein die Recherche am in der Luft
schwebenden Bildschirm, der zu so bedeutungsschwangeren Überlagerungen von Bild und Betrachter einlädt, geht ihm ordentlich an die Nieren. So sehr, dass er, sonst stets der Verfechter von Menschlichkeit und Toleranz, für die Borg kein gutes Wort findet. Die Konfrontation mit seinen Dämonen hätte auch schief gehen können, wenn er nicht einem alten Bekannten aus Next Generation-Zeiten begegnet wäre. Der Ex-Borg Hugh leistet nicht nur praktische Fluchthilfe, er baut den seelisch angeschlagenen Picard auch auf und wirbt für Verständnis für eine weitere übel gebeutelte Gruppierung in der Welt von Star Trek:Picard: die aus dem Kollektiv befreiten, aber allseits mit Misstrauen betrachteten Ex-Borg.

Träumen Androiden von elektrischen Schafen?

Nein, tun sie nicht. Zumindest Soji träumt Fetzen eingepflanzter Erinnerungen. Doch Narek glaubt, dass mehr dahintersteckt. Offenbar hat er einige Semester Psychologie studiert, denn in seinen wortreichen Überlegungen, warum Androiden wohl träumen und wozu, rekapituliert er gängige Traumtheorien: durch Träume kann das Unterbewusste die Informationsflut des Tages verarbeiten. Bzw. in Sojis Fall die zwei widersprüchlichen Konzepte „Ich bin ein Mensch“ und „Ich bin eine Maschine“ unter einen Hut bringen. Also veranstaltet er etwas, was in den farbenfreudigeren Randgebieten der Psychologie als Klartraum-Meditation bekannt ist. Der Träumer soll befähigt werden, sich des Träumens bewusst zu werden und die Richtung des Traums zu steuern ‒ etwa sich umzudrehen und das Monster zu fragen: „Bist du mein Mutterkomplex?“ Aber in dem Moment, in dem Soji sich als Gliederpuppe auf der Werkbank ihres Vaters sieht und der Therapeut jetzt vorschlagen würde, sich die Beziehung zum übermächtigen Vater genauer anzusehen, bricht Narek ab. Denn an der ganzen spannenden Reise in die Psyche eines Androiden hat ihn nur ein Detail interessiert: der Blick aus dem Fenster, auf Blitze und zwei Monde. Das ist eine recht dürftige Ortsangabe, um das Geheimlabor der Androidenbauer zu finden, aber, nun gut. Weitaus peinlicher ist, dass er den groben Schnitzer aller Schurken, die der Heldin ans Leben wollen, begeht: Die Todesart ist so langwierig, dass Entkommen kein Problem ist. Und er hätte wirklich wissen müssen, dass Todesgefahr bei Soji übermenschliche Kräfte mobilisiert. Intelligent angedacht, leider flach und knirschend aufgelöst.

Und der Rest der Crew?

Neben den zwei großen Schwerpunkten der Folge haben die anderen Crewmitglieder kleine, aber feine Momente, um ein wenig zu glänzen. Agnes Jurati macht sich im Post-Schandtat-Blues an Rios heran, der glaubt, er müsste eine Trauernde trösten. Was er gern tut, mal schauen, was das für Folgen haben wird. Raffi ist nach dem enttäuschenden Zusammentreffen mit ihrem Sohn zu Hippiezöpfen, Schnaps und Drogen zurückgekehrt, schafft es aber auch mit einer Buddel voll Rum in der Hand meisterhaft, einer alten Bekannten einen Diplomatenstatus für Picard abzuschwatzen. Elnor macht noch ein bisschen mehr aus seiner Erziehung zum Weg der absoluten Offenheit. War er in der letzten Folge eher ratlos, wenn Menschen etwas vortäuschten, lenkt er nun seinen Blick auf das, was sie nicht sagen und entwickelt damit quasi empathische Fähigkeiten, wie einst Deanna Troi auf der Enterprise. Das Ende der Folge könnte andeuten, dass er aus der Handlung raus ist, so wie Seven of Nine in Folge 5. Das wäre schade, denn er hatte gerade erst angefangen, Konturen zu entwickeln. Aber wenn im Dunkeln sein Schwertkampf-Badass-Satz „Freunde, wählt das Leben!“ ertönt, kann man davon ausgehen, dass er die Situation im Griff hat.

Insgesamt eine spannende Folge mit Rätseln und Geheimnissen, großen Gefühlen, Rennen, Kämpfen, Retten und vielen kleinen, hübschen Charaktermomenten, die so viel Spaß macht, dass man gelegentliches Knirschen im Gebälk verzeiht. Nachdem Picard und Soji sich nun endlich gefunden haben, kann es in den Endspurt der Staffel gehen.

wasabi

wasabi wohnt in einer Tube im Kühlschrank und kommt selten heraus.

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