Wunder
Autorin Raquel J. Palacio landete 2012 mit ihrem ersten Roman Wunder einen absoluten Volltreffer. Der Titel befand sich immer wieder auf der Bestseller-Liste der New York Times und hat viele positive Kritiken erhalten. 2015 erschien zusätzlich noch das Begleitbuch Wunder – Julian, Christopher und Charlotte erzählen (Originaltitel: Auggie & Me: Three Wonder Stories). Im November 2017 wird in den USA der adaptierte Kinofilm starten, weshalb im folgenden Artikel ein Blick darauf geworfen wird, was das Buch eigentlich so besonders macht.
August „Auggie“ ist zehn Jahre alt und lebt mit seinen Eltern und seiner Schwester Via in New York. August ist schlagfertig, witzig und sensibel. Dennoch ist er nicht so wie andere Kinder in seinem Alter: Er kam mit mehreren Gendefekten gleichzeitig zur Welt, weshalb sein Gesicht entstellt ist. Durch die unzähligen Operationen, die er bereits hatte, konnte er nie auf eine öffentliche Schule gehen und wurde zu Hause von seiner Mutter unterrichtet. Das soll sich nun ändern, denn er wird in die fünfte Klasse einer Bezirksschule gehen. August hat jedoch Angst, dass er ausgegrenzt und angestarrt wird. Zum Glück ist er ein starker Junge, der auch die fünfte Klasse meistern kann!
Emotionale Achterbahnfahrt?
Originaltitel | Wonder |
Ursprungsland | USA |
Jahr | 2012 |
Typ | Roman |
Bände | 1 |
Genre | Jugendbuch |
Autor | Raquel J. Palacio |
Verlag | Carl Hanser Verlag |
Bei dem Thema eines entstellten Kindes erwartet man vermutlich eine traurige Geschichte mit vielen Gefühlen. Jedoch präsentiert sich der Roman sehr einfach und zeigt auch, dass August schlicht ein normaler Zehnjähriger ist: er mag Star Wars, spielt Computerspiele und widmet einen guten Teil seiner Zeit dem Hund der Familie. Somit versucht der Roman nicht, August nur zum mitleiderregenden Kind herunterzubrechen und es wird auch nichts überdramatisiert. Seine Andersartigkeit ist natürlich vorhanden und auch das Thema, aber man findet sich in einer überraschend normalen, einfachen Erzählweise wieder. Die Tatsache, dass August entstellt ist, rückt dabei fast in den Hintergrund. Aber eben nur fast, denn es ist erschütternd, was August aufgrund seines Aussehens erleben muss. Dabei handelt es sich bei den Kindern, die ihn ärgern, nicht nur um emotionslose Schläger. Viele wissen einfach nicht, wie sie mit ihm umgehen sollen oder haben gar Angst vor ihm, weil er eben so aussieht. Dies wird auch immer wieder klargestellt, sodass nicht nur der große moralische Zeigefinger erhoben wird – wobei das selbstverständlich in keiner Weise das rechtfertigt, was August mitmachen muss. Dennoch kann man manche Beweggründe sogar nahezu nachvollziehen, da so junge Menschen einfach noch unwissend sind, selbst manche Erwachsene sind mit der Situation überfordert. Mobbing und Ausgrenzung ist unter Kindern und Jugendlichen allgegenwärtig, doch wie ist das erst, wenn man so aussieht, wie Auggie?
„Ich werde euch nicht beschreiben, wie ich aussehe. Was immer ihr euch vorstellt, es ist schlimmer.“ (August)
Das Gesamtbild von Augusts Aussehen wird nie beschrieben, sodass eine Vorstellung dem Leser selbst überlassen bleibt. Auch auf dem Cover des Buches ist August schlicht mit einem Karton über dem Kopf abgebildet – sinnbildlich für seine Vorliebe für Kostümierungen und Halloween. Denn dann kann er einfach ein normales Kind sein, da niemand sein Gesicht erblickt und jeder sich verkleidet.
Verschiedene Perspektiven, ehrliche Schreibweise
Die Perspektive, aus der die Geschichte erzählt wird, verbleibt nicht bei August. Kapitelweise erfahren wir die Gedanken seiner Schwester, des guten Freundes oder anderer Menschen, die mit ihm zu tun haben und versuchen, mit ihm umzugehen. Dabei präsentiert sich der Roman sehr ehrlich und auch die Gefühle seiner Schwester Via werden offen beschrieben. Sie fühlt sich aufgrund ihres bedürftigen Bruders zurückgesetzt, obwohl sie ihn liebt und versteht, warum das so ist. Die Eltern haben nun einmal zwei Kinder und sie als gesunde Tochter war und ist dabei immer etwas vernachlässigt worden. Jede Erzählperspektive hat ihren eigenen Ton, das heißt, dass sich nicht alles gleich liest. Die Personen haben jeweils komplett unterschiedliche Gedankengänge und ihre Ausdrucksweise in der Ich-Perspektive unterscheidet sich derart, dass diese Erzählerwechsel sich gut abgrenzen lassen, ohne dass es künstlich wirkt. Inhaltlich hat man häufig das Gefühl, Episoden zu lesen, was jedoch nicht schlecht ist. Denn dies bestätigt den Eindruck, dass August eigentlich gar nicht so anders ist, schließlich hat auch er einen Alltag, den er durchlebt.
Ohne kitschig zu sein
August findet mit der Zeit Freunde und kann sich integrieren. Die Kinder in seiner Schule lassen sich grob in drei Kategorien unterteilen. Es gibt diejenigen, die ihn ignorieren und es gibt diejenigen, die ihn ärgern, aber es gibt noch eine weitere Gruppe, auch wenn sie in der Minderheit ist. Diese Kinder lassen sich auf ihn ein und möchten herausfinden, was sich hinter dem entstellten Gesicht befindet. Das ist nicht immer einfach und es wird auch klargestellt, dass sein Aussehen abstoßend wirken kann, wie man es aus der Perspektive einiger Außenstehender erfährt. Doch August schafft es, zu zeigen, dass er mehr als das ist. Dabei driftet die Geschichte nie in Kitsch ab, obwohl man als Leser an manchen Stellen sehr mit August mitleidet.
Ich muss gestehen, dass ich mir Wunder nur gekauft hatte, um einen Roman für meine Buchpräsentation in der 8. Klasse zu haben. Doch ich bin unfassbar froh, dass ich dadurch auf dieses tolle Buch aufmerksam geworden bin. Die Geschichte fühlte sich schnell sehr authentisch an und ich denke, jeder kann sich irgendwo mit August identifizieren. Es ist schön, dass man aus verschiedenen Perspektiven sehen kann, wie diese Situation für alle Beteiligten ist. Denn auch wenn man weiß, dass August nichts für sein Aussehen kann, so fällt es womöglich schwer, dieses zu ignorieren. Deshalb ist man kein schlechter Mensch, weshalb ich froh bin, dass auch die inneren Konflikte der anderen Menschen in seinem Umfeld ehrlich geschildert werden. Und am Ende hat es mich sehr berührt, dass seine Eltern und seine Freunde über alledem standen und ihn so akzeptiert haben, wie er ist. Auch sein Umfeld lernt über das Schuljahr, dass August kein Monster ist, sondern eine großartige Persönlichkeit besitzt – und dies ist letzten Endes, was wirklich zählt. Auf jeden Fall ist Wunder eine Geschichte, die im Prinzip für jeden geeignet ist, der Lust auf eine authentische, liebevolle Erzählung hat. Ich bin gespannt, wie der Film dies alles umsetzen wird.