Blade Runner 2049
Nach 35 Jahren die Fortsetzung eines filmischen Meilensteins in die Kinos zu bringen, mag für viele auf den ersten und möglicherweise sogar zweiten Blick nach Gotteslästerung aussehen. Einen ähnlichen Höllenritt durchlebte Ridley Scott mit Prometheus – Dunkle Zeichen und Alien: Covenant. Was zunächst aussah wie eines von vielen Rauchzeichen am anderen Ende Hollywoods, nahm Anfang 2015 klare Konturen an, als bestätigt wurde, dass ein Drehbuch von Hampton Fancher und Michael Green vorlag und Harrison Ford (Star Wars: Das Erwachen der Macht) erneut die Rolle des Rick Deckard verkörpern sowie Denis Villeneuve (Arrival) die Regie übernehmen würde. Bei der Existenz einer solchen Vorgeschichte wie die eines Blade Runner ist es natürlich kaum schaffbar, eine ähnliche Genre-Revolution zu erschaffen, deren grenzenloser Einfluss auf die Filmwelt unübersehbar ist. So zumindest der Anschein…
Los Angeles im Jahr 2049: Die Stadt wird nicht nur von Menschen, sondern auch Hologrammen und sogenannten Replikanten, künstlichen Menschen, besiedelt. Anders als einst dienen Replikanten nicht mehr als Sklaven und hegen auch keinen Groll gegen Menschen. Da die Ökosysteme zusammengebrochen sind, ernähren sich die Menschen von proteinreichen Käfermaden, welche Obst und Fleisch ersetzen. In dieser Gesellschaft lebt auch der Cop K (Ryan Gosling, Drive), der flüchtige Replikanten jagt. Eines seiner Ziele ist bereits seit Jahren untergetaucht. Als K diesen Mann findet und ihn im Kampf tötet, findet er Hinweise auf eine Leiche, deren Untersuchung eine ungeheuerliche Vermutung offenbart…
Wendungsreicher Plot mit viel Subtilität
Originaltitel | Blade Runner 2049 |
Jahr | 2017 |
Land | USA |
Genre | Science-Fiction |
Regisseur | Denis Villeneuve |
Cast | Officer K: Ryan Gosling Rick Deckard: Harrison Ford Lieutenant Joshi: Robin Wright Joi: Ana de Armas Nandez: Wood Harris Niander Wallace: Jared Leto Doc Badger: Barkhad Abdi Doxie: Elarica Johnson Sapper Morton: Dave Bautista Dr. Ana Stelline: Carla Juri |
Laufzeit | 163 Minuten |
FSK |
Ridley Scotts Blade Runner aus 1982 war ein einfacher Kassenhit, doch sein Einfluss ist vor allem künstlerischer Natur: Es dauerte eine Weile, bis der Film für seine Zukunfts-Noir-Vision zum Kulthit avancierte. Zum damaligen Zeitpunkt war weder absehbar, dass der Film Kraft über fünf Dekaden hinweg haben, noch dass er in fünf verschiedenen Fassungen existieren sollte. Somit ist der Erwartungsdruck hoch: In verändertem Maßstab muss Blade Runner 2049 mit zeitgenössischen Effekten den Erwartungen gerecht werden, ohne sich dabei in einem seelenlosen Effektspektakel zu verlieren. Genau dieser Drahtseilakt ist geglückt. Trotz der stattlichen Laufzeit von 163 Minuten und so manchen Actionszenen ist genügend Raum gegeben, um Blade Runner 2049 ruhig und weitgehend behutsam zu erzählen. Denis Villeneuve stellte bereits mit Arrival und Prisoners seine Kunst unter Beweis, sperrige Stoffe subtil und stilsicher erzählen zu können. Inhaltlich erzählt der Film konsequent die bekannte Geschichte weiter, die im ersten Teil ihren Anfang nahm. Und wie dieser scheut sich Villeneuve davor, für alle Probleme des Films auch Lösungen aufzuführen – für ein breites Publikum der filmische Todesstoß. Dabei geht es nicht zwangsweise immer um philosophische Ansätze; oftmals bleiben einfach Gesinnung und Motivation von Gruppen oder Einzelpersonen im Unklaren. Villeneuve greift allerlei Thematiken auf, sodass jeder Zuschautze Ansätze nach persönlichen Vorlieben finden sollte.
Technologie und künstliche Intelligenz in faszinierenden Einklang
Das Thema der künstlichen Intelligenz findet im „Joi“-Programm einen ganz neuen Höhepunkt: Eine Intelligenz dieser Art könnte kaum lebhafter und kaum liebenswerter sein als Joi (Ana de Armas, Knock Knock).
Zeit, Raum und Glanz zum Eintauchen und Abschweifen
Die Kameraarbeit des ersten Teils von 1982 wird nahtlos eingefangen. Für die Bilder sorgt Roger Deakins (Skyfall), zuständig dafür, dass der Zuschauer in den Sog der Geschichte getrieben wird bis die Handlung einmal in Gang kommt. Das futuristische Los Angeles weist asiatische Züge auf und damit Parallelen zum Originalfilm, aber auch zu Ghost in the Shell aus demselben Kinojahr: Dauerregen, Slums, haushohe Werbehologramme. Langweilig wird es auch optisch nie, dafür sorgt das breite Spektrum an Schauplätzen. Für die ohrenbetäubende Begleitung wurden Hans Zimmer (Batman v Superman: Dawn of Justice) und Benjamin Wallfisch (ES) verpflichtet, dessen pointierter und melancholischer Score ungewöhnlich selten zum Einsatz kommt. Es sind vor allem die ruhigen Momente, die bestechen. Ryan Gosling verkörpert mit K glaubhaft eine Hauptfigur, deren Männlichkeit sehr in den Vordergrund gerückt wird. Er stellt wie einst Harrison Ford den traumatisierten einsamen Wolf dar, dessen Verzweiflung zur Mission wird.
Die Momente, zwischen denen Blade Runner 2049 wechselt, sind einfach packend: Entweder trifft einen die Tragik der Geschichte mitten ins Herz oder die Bildgewalt raubt einem den Atem. Einen der beiden Tode muss man als Zuschauer einfach sterben. Selten habe ich einen Science-Fiction-Film so sehr genossen. Es ist ein Jammer, dass sich der Film trotz des großen Namens (oder besser: trotz großer Namen wie Ford und Gosling) an den Kinokassen schwer tut. Wer sich auf ihn einlässt, den versetzt der Film in Erstaunen und Bewunderung. Ich mag diesem Blade Runner gar nicht absprechen, dass er seine Längen hat und Geduld einfordert. Doch Hand aufs Herz: Ein 90-minütiger Blade Runner? Wenn der Name eine entsprechende Epik verlangt, muss er zumindest dieser Erwartung gerecht werden. Von der anderen Seite betrachtet: selten war es so schön, es sich im Kinosessel gemütlich zu machen und einfach mal in einer fremden Welt gehen zu lassen und vor allem: von ihr inspirieren zu lassen – ganz ohne Zeitdruck.