INSIDE
Die Runaway-Kids der IndieGame-Szene – angeführt vom LIMBO-Jungen und verstärkt durch Six und The Kid aus Little Nightmares, widmen wir uns heute im Rahmen unseres Monatsthemas “Gefangenschaft & Flucht” dem Jungen aus Playdeads INSIDE. Im Juni 2016 trat er seine beschwerliche Flucht an und bis heute fragt sich die große Fan-Gemeinde, ob er denn wohl seinen wohlverdienten Frieden gefunden hat.
Es beginnt abrupt, ohne Menü und ohne Tutorial: ein kleiner Junge im roten Pullover landet im Wald und bricht in einen riesigen Komplex ein. Gejagt von Wächtern, Hunden, Wissenschaftlern und seltsamen Wesen, dringt er dabei in immer tiefere Schichten vor und wird Zeuge eines dunklen Projektes.
Light Content – die äußerlichen Merkmale
INSIDE wird wie auch schon der Vorgänger LIMBO zweidimensional von links nach rechts gespielt, allerdings ist die 3D-Optik ordentlich aufpoliert worden. Durch Perspektivwechsel und Kameraschwenks darf der Spieler nun viel weiter in den Raum hineinblicken, die räumliche Kulisse wirkt dadurch wesentlich eindrucksvoller. Überdies lässt INSIDE das Limbo’sche Schwarz-Weiß hinter sich und setzt stattdessen auf Grautöne und Farbakzente. Dazu wird mit Licht und Schatten und Unschärfefiltern gearbeitet. Insgesamt also ein Look, der ziemlich einmalig ist. Die Spielprinzipien sind ähnlich denen von LIMBO, die Story aber lässt ein großes Ganzes vermuten, dessen Geheimnis man als Spieler erfahren möchte. Diesen Drang gibt es bei LIMBO nicht so ausgeprägt. Die Rätsel sind abenteuerlich, manchmal makaber, und die Lösungsmechanismen dazu unerwartet – nicht selten staunt man, wenn man drauf kommt.
Medium Content – Musik wie im Mutterleib
Der Soundtrack ist eine der wichtigsten Säulen des Spiels. Der Komponist Martin Stig Andersen verfolgt dasselbe Musikkonzept wie auch schon beim Vorgänger: Er vereint Soundkulisse mit akusmatischer Musik (Musik ohne sichtbare oder identifizierbare Quelle). Auf diese Weise wird die traditionelle Trennlinie zwischen Sounddesign und Musik überschritten. Wenn eine natürliche Geräuschkulisse abstrahiert wird, indem man die Geräusche wie Musik spielt, kann das einen viel größeren psychologischen Effekt haben als das banale Einfugen von traditioneller Hintergrundmusik. Und damit der Klang auch absolut stimmt, hat Andersen ziemlich seltsam anmutende Experimente durchgeführt, indem er das Audiomaterial mit einem sich im Bauch eines Menschen befindlichen Mikros aufnimmt oder die Sounds durch einen menschlichen Schädel schickt.
Den Unterschied, den der Schädel ausmacht, kann man sich auf Soundcloud anhören.
Heavy Content – was will uns das Spiel sagen?
Sehr viel. Und es ist schwierig, über solche Spiele zu schreiben und sie vorzustellen, denn im Grunde ist jegliche Info bereits eine Info zu viel. Auf der anderen Seite juckt es den Autor in den Fingern, da er unbedingt seine Interpretation unterbringen möchte. Eine Zwickmühle. Nicht zu vage, nicht zu explizit – im Folgenden also der Versuch einer Gratwanderung. Um das Spiel möglichst unwirtlich zu gestalten, bedient sich Playdead einiger aktueller und unbequemer Themen: entartete Nutztierhaltung, 2-Klassen-System, Wissenschaft ohne Grenzen, Gesellschaft und Voyeurismus und die vermeintliche Freiheit des Individuums. All diese Themen werden nicht explizit angesprochen oder verarbeitet, sondern einfach nur dargestellt – mal mehr, mal weniger suggestiv. Es bleibt dem Spieler überlassen, welche Geschichte er daraus liest.
Originaltitel | INSIDE |
Jahr | 2016 |
Plattform | PC, Xbox One, PlayStation 4 |
Entwickler | Playdead |
Publisher | Playdead |
Genre | Adventure, Jump’n’Run, Puzzle |
Spieler | 1 |
USK |
Zu Beginn des Spiels scheint der Junge in den wissenschaftlichen Komplex einzudringen. Dafür spricht, dass er sich zunächst im Wald befindet, und Wald assoziiert man üblicherweise mit „draußen“. Im weiteren Spielverlauf jedoch beginnt man diese Annahme anzuzweifeln und es stellt sich die Frage, ob der Junge nicht von vorne herein schon „inside“ und damit gefangen gewesen ist. Was den Jungen antreibt, ist unbekannt, aber es macht den Anschein, als wolle er das Geheimnis der Anlage ergründen – auch wenn er dabei tausend Tode sterben muss (oder auch gar keinen, je nachdem wie gut der Spieler ist, eh?). Von Hunden zerfleischt, von gesichtslosen Männern erwürgt, von Schockwellen in Stücke gerissen: Playdead kennt bei den Sterbeanimationen erneut keine kreativen Grenzen.
Sein Weg führt den Jungen durch finstere Wälder, in denen Menschen wie Vieh abtransportiert werden, über verlassene Farmen, in denen die Schweine jämmerlich verenden, durch riesige Komplexe, in denen unbestimmbare Experimente durchgeführt werden (irgendwo dort sitzt sicherlich auch Andersen mit seinem Totenschädel) und etliche andere, Rätsel aufgebende Umgebungen. INSIDE verhält sich dabei wie ein einziges großes Level – es gibt keine Ladeunterbrechungen, keine merklichen Übergänge und keine Pausen. Alles wirkt wie aus einem Guss, was den starken Sog erklärt, den das Spiel ausübt, und man kommt nicht drum herum, es zu spüren, wenn das Spiel auf seinen eruptiven Höhepunkt zusteuert (zumal Spüren das einzige ist, was dem Spieler übrig bleibt, da das komplette Spiel nonverbal und ohne Text abläuft):
Auch auf der Spiele-Meta-Ebene lässt sich eine Aussage finden, wenn man denn das Secret Ending erreicht hat. Hier wird noch mal den Themen Kontrolle und Voyeurismus eine besondere Beachtung geschenkt und der Spieler selbst rückt in den Mittelpunkt der Aussage.
INSIDE ist top. Das Spiel richtet etwas an, das ich nur schwer beschreiben kann. Es macht elegisch, es ist erstickend und irgendwie wird mir auch übel. Aber ich find’s total dufte. Ein intensives Spielerlebnis mit duften Kulissen, dufter Atmosphäre, duften Rätseln, duftem Sounddesign. Und ich freu mich wie ein Schnitzel, wenn… lasst mich kurz rechnen…. vermutlich 2022 das nächste Projekt von Playdead erscheint. Sechs Jahre – die typische Entwicklungszeit, die das Studio benötigt. Und das bei Spielen, die gerade mal vier Stunden gehen. Aber ich find’s dufte, hab ich das schon gesagt?
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