Kinos Reise – Die wunderschöne Welt

Was sind Reisende? Es können Menschen sein, die nach einem aufregenderem Leben suchen. Menschen, die auf der Flucht sind. Oder auch Menschen, die nach einer neuen Heimat suchen. Manche sind auch einfach nur auf Geld aus. Doch gemeinsam ist ihnen allen: Reisende werden sie, sobald sie sich zu einer Reise entschließen. Kino’s Journey -the Beautiful World- the Animated Series, die jüngste Adaption der seit 20 Jahren erfolgreich erscheinenden Light Novel aus der Feder Keiichi Sigsawas, gibt Einblick in die Abenteuer durch so manch ein kurioses Land.

Kino ist ein Reisender und Hermes ein sprechendes Motorrad. Beide sind auf Reisen ohne erklärtes Ziel. Unterwegs treffen sie auf verschiedene Länder und Kulturen, doch auch andere Reisende mit ihren eigenen Abenteuern. Denn es gibt allerhand Kuriositäten zu entdecken.

Ein Reboot mit selektiver Auswahl des Vorlagenmaterials

2003 erschien bereits eine Adaption der Light Novel unter der Regie von Ryuutarou Nakamura (Serial Experiments Lain). Diese Umsetzung besteht aus einer TV-Serie namens Kino’s Journey (2007 bei ADV Films erschienen) und diversen OVAs und Kurzfilmen. Diese adaptieren weitgehend  Material aus den ersten vier Bänden (erschienen bei Tokyopop, 2006 – 2007). Kino’s Journey -the Beautiful World- the Animated Series aus dem Jahre 2017 ist eine Neuadaption des Vorlagenmaterials und hat abgesehen vom gleichen Ausgangsmaterial keinerlei Verwandtschaft zur 2003er Serie. Bis auf drei Reisegeschichten präsentiert die 2017er Adaption vollkommen neue Länder, querbeet aus der Romanvorlage. Auffällig ist dabei, dass sich die Selektion sehr auf Geschichten konzentriert, in denen wiederkehrende Nebenfiguren eingeführt werden bzw. eine größere Rolle spielen oder Kino coole Auftritte mit ihren Waffenarsenal hat. Das liegt darin begründet, dass vorab zur Serie im Jahre 2015 eine Umfrage durchgeführt wurde. Es handelt sich bei den adaptierten Geschichten also zum größten Teil um Leserlieblinge aus dieser Umfrage. Infolgedessen ist diese Adaption nur bedingt repräsentativ für das gesamte Kino’s Journey-Franchise, die in den zig übersprungenen Geschichten, deutlich mehr Abwechslung bietet.

Kein so richtig klarer Fokus in dieser Adaption…

Originaltitel Kino’s Journey -the Beautiful World- the Animated Series
Jahr  2017
Episoden  13 (1 Staffel)
Genre  Abenteuer
Regisseur   Tomohisa Taguchi
Studio   Lerche

Die Light Novel Kinos Reise zeichnet vor allem durch die verschiedensten Geschichten aus, die jeweils ein Gedankenkonstrukt vorstellen. Das umfasst verschiedenste soziale Gesellschaftsideen wie z.B. hypothetische Staatsformen, welche meist von einem der vielen Stadtstaaten ausgelebt wird. Aber auch einfache Grübeleien zwischendurch über die wundersame Welt, den Akteuren darin und welche erstaunlichen oder auch tragischen Zufälle sie verbinden können. Kino und Hermes sind in der Regel nur passive Beobachter, sodass die Idee im Vordergrund steht und den Leser selbst zum Nachdenken anregt. Alle paar Bände wird den wiederkehrenden Figuren auch eine Charakterepisode spendiert, an denen man auch ein wenig Charakterentwicklung nach all den Reiseerfahrungen erkennen kann. Es gibt den Geschichten auch ein wenig ein Gefühl für die Zeit, die zwischen all den Reiseerfahrungen vergangen ist. Das geht dieser neuen Adaption absolut abhanden. Weiß man es nicht besser, könnte man fast meinen, dass die Welt dieser Serie unglaublich klein ist und die sich gleichen Figuren andauernd über den Weg laufen. Ebenfalls gerät durch die bevorzugte Auswahl von Charakterepisoden der Fokus der Vorstellung von Gedankenexperimenten vollkommen ins Hintertreffen, denn der Coolness-Faktor stiehlt dem Ganzen in der Regel die Show und das nicht im guten Sinne. Leider sind es nicht einmal ausschließlich Charakter-Episoden, sondern es werden auch normale Reise-Episoden vorgestellt, zumeist gegenüber der Vorlage gekürzt. Die Serie hat ohnehin schon nicht wenige wiederkehrende Nebenfiguren, die selbst in den vollen zwölf Folgen kaum ausreichend Platz finden würden. So ist noch weniger Raum all ihre Reisen ausgiebig vorzustellen, sodass es bei vielen im Wesentlichen bei ihrer Einführungsepisode verbleibt. Das verwässert den Fokus der Serie leider noch mehr, sodass teilweise kaum ersichtlich ist, worauf sie eigentlich hinaus möchte.

Episoden-Guide

1 Das Land, in dem man andere töten darf
2 Kolosseum
3 Land der Lässigkeit
4 Das Schiffland
5 Land der Lügner
6 In den Wolken
7 Land der Geschichte
8 Land der Radiowellen
9 Allerlei Länder
10 Gütiges Land
11 Land der Erwachsenen
12 Schafswiesen

Durchwachsene Produktionswerte

Ebensowenig hilfreich sind dabei die Begrenzungen der Präsentation durch entweder eingeschränktes Budget oder mittelprächtige Planung. Die Serie gibt sich Mühe mit den Hintergründen, die in allen schillernden Farben vorgestellt werden und von denen vor allem das atmosphärische Opening sehr profitiert. Doch bei allem darüber hinaus zeigen sich Schwächen. Nicht zuletzt durch die Auswahl der Geschichten sind in der Serie etliche eher actionlastigere Stories enthalten. Leider kann man die Serie zu keinem Zeitpunkt als außerordentlich gut animiert bezeichnen, sodass entsprechende Szenen entweder ganz ausgelassen werden oder man sie durch einige Tricks und Sparmaßnahmen zu kaschieren versucht. Der ehrliche Versuch, das Beste daraus zu machen, ist respektabel. Das Ergebnis fällt allerdings eher durchwachsen aus, vor allem da es durch eine andere Auswahl von Vorlagenmaterials grundsätzlich vermeidbar wirkt. Ebenfalls hat die Serie einige mäßig gut in 2D integrierten 3D-CG-Szenen zu bieten. Am auffälligsten ist, dass fast alle Szenen, in denen Hermes eine komplexere Kurve dreht oder Kino von ihm auf- bzw. absteigt. Aber auch an anderen Stellen genießt einheitlich visuelle Kontinuität nicht die höchste Priorität. Das ist schade, denn die 3D-Modelle an sich sehen sehr detailliert aus und man erkennt darin viel Mühe. Ebenso ist das Pacing der Serie in vielen Folgen ein wenig seltsam. Um den obligatorischen alt vs. neu-Vergleich zu bringen: Die alte Serie hat neben größeren Hauptgeschichten auch immer wieder die kleineren Grübeleien mitadaptiert und obendrein noch ergänzend anime-eigenes Material hinzugefügt. In der neuen Serie sind diese kleinen Grübeleien bis auf die Eingangsszene der ersten Folge und die Ausgangsszene der letzten Folge praktisch nicht vorhanden. Die Hauptgeschichten wirken mitunter gestreckt, um auf eine volle Spielzeit zu kommen, doch liest man die Vorlage daneben, fällt auf, dass tatsächlich Material aus der Vorlage weggekürzt wurde. Darüber hinaus weiß die Soundregie der neuen Serie kaum hervorzustechen. Die japanischen Synchronisprecherriege beinhaltet zwar diverse namhafte Namen wie Aoi Yuuki oder Ayane Sakura, welche auch alle eine gute Leistung liefern, doch haben sie kaum Raum ihre Talente zur Geltung zu bringen. Dass das der Serie vorangegangene “Comike no Kuni” 13 Minuten-Sounddrama mehr hergibt als die gesamte Serie, ist schon schade. Ebenso ist der Soundtrack – der eigentlich durchaus gute Stücke enthält – praktisch nie besonders prominent oder gar bewegend platziert. Das fällt umso mehr auf, wenn man die erste Anime-Adaption daneben hält. Stille wird in der 2003er Version bewusst eingesetzt, während die wenigen dort vorhanden musikalischen Stücke oft zum Mitsummen einladen. Der Vergleich mag unfair sein – Regisseur Ryuutarou Nakamura war besonders renommiert für sein Talent zum Sounddesign nicht nur mit Musik, sondern auch mit Geräuschenkulissen wie z.B. in Ghost Hound oder Serial Experiments Lain – doch kann man die Produktionswerte dieser neuen Adaption letztlich nur als einigermaßen soliden Durchschnitt betrachten.

Fazit

Mir will ehrlich gesagt der Titel nicht ganz schmecken. Das ist kein Kino’s Journey -the Beautiful World- the Animated Series. Das ist eher ein eher ein “The Vintage Selection” oder ehrlicher “Reader’s Choice”, auch wenn beides natürlich nicht besonders marketingfähig wäre. Kinos Journey ist ein Titel, den ich schon seit über einer Dekade begleite und so war ich sehr positiv überrascht, dass nach 14 Jahren ein neuer Anime angekündigt wurde. Entsprechend enttäuscht war ich vom zweiten Trailer, der die 3D-Glorie direkt prominent platziert. Zumindest war ich damit schon hinreichend vorgewarnt und konnte mich einigermaßen darauf einstellen, auf welche Qualität man sich da einlässt. Meine Eindrücke zu dieser Serie sind trotzdem eher zwiespätigerer Natur. Ist die Serie empfehlenswert? Eingeschränkt. Ist das eine gute Serie? Diskutabel. Ist die Serie beeindruckend? Definitiv nicht. Ist die Serie grottig? Nein, das würde ich auch nicht behaupten. Schlechter als der Vorgänger? Jein… Ja. Kino’s Journey aus 2003 ist eine Kultserie aus den Händen eines Meisters seines Handwerks, doch auch sie ist nicht ohne Macken. Die neue Serie macht diverse Elemente (inbesondere in der Präsentation von Kinos Charakter) definitiv ansprechender und auch das Charakterdesign, das sich an den neuen Illustrationen von Kouhaku Kuroboshi orientiert, ist mir persönlich angenehmer. Doch fehlt mir in dieser neuen Serie einfach die Stilsicherheit, die die alte Serie auf jeden Fall hatte. Oder überhaupt etwas Ganzeinheitliches, das die Serie ausdrücken möchte. So wie es ist, erscheint mir leider als nicht mehr, als es wohl auch vornehmlich einfach ist: Ein kleiner Imbiss für die Fans der Vorlage, die ihre Lieblingsfiguren vertont sehen möchten. Doch als Teil von eben dieser Zielgruppe lässt sich die Frage “Habe ich die Serie gerne verfolgt?” von mir dann doch näher zu einem Ja als Nein beantworten.

Luna

Luna residiert auf dem Mond mit ihren beiden Kaninchen. Als solche hat sie eine Faible für flauschige Langohren und ist auch nicht um die ein ums andere Mal etwas entrückte Sicht auf die Weltordnung verlegen. Im Bestreben, sich verständigt zu bekommen, vertreibt sie gerne die Zeit mit dem Lernen und Erproben verschiedener Sprachen und derer Ausdrucksformen.

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Ayres
Redakteur
31. Juli 2018 18:37

Leider muss ich dir in vielen Punkten zustimmen. Die Serie fühlt sich nicht so recht nach Kino’s Journey an, zumindest nicht nach dem Bild, das ich dazu im Kopf habe. Es hat auch ewig gedauert, bis ich die Serie beendet habe. Eben habe ich mir auf einen Schlag die letzten drei Episoden reingezogen und will die Serie am liebsten vergessen. In Erinnerung werden mir exakt zwei Folgen bleiben: #6 mit der Sklavin, weil sie auch wirklich unter die Haut geht und dann eben leider #11 mit den Schafen, weil sie so absurd bis bekloppt ist. Irgendwie finde ich diese Folge auf ihre Weise cool, aber eben nicht innerhalb von Kino’s Journey, welches ich lieber melancholisch als bunt und flippig mag.
Bezeichnend auch das Schlussbild bzw. der letzte Dialog, in dem es ein zweiminütiges Standbild zu sehen gibt…

Bin somit leider durch mit diesem Franchise. Die 2003er Serie behalte ich in guter Erinnerung, den Rest verdränge ich einfach.